Unter Haien - Neuhaus, N: Unter Haien
»beeindruckend.«
»Alex!«, rief Madeleine. »Kennst du Nick und Mary Kostidis?«
Alex fuhr zusammen und wandte überrascht den Kopf. Tatsächlich, der Mann, der neben Madeleines Pferd stand, war der Bürgermeister von New York City. Mit der blauen Daunenjacke und den Jeans sah er ganz anders aus, aber sie erkannte sofort diese brennenden dunklen Augen wieder, die sie damals so nachhaltig beeindruckt hatten.
»Hallo«, sagte sie und lächelte, »ja, wir sind uns einmal begegnet.«
»Alex Sontheim«, Kostidis nickte und musterte sie eingehend, »im City Plaza. Ich erinnere mich.«
Alex fiel ein, wie abfällig Sergio sich über diesen Mann zu äußern pflegte und wie sehr er ihn hasste. Einen Fanatiker hatte er ihn genannt, einen Straßenköter, die Pest. Während Madeleine und Mary Kostidis über die Pferde sprachen, fragte sie sich, was der Bürgermeister von New York am Weihnachtsmorgen um halb acht an einem gottverlassenen Strand im Norden Long Islands tat. Madeleine lüftete schließlich das Geheimnis.
»Ist Christopher mit euch bei deiner Schwester?«, fragte sie die Frau des Bürgermeisters.
»Nein«, diese lachte, »in diesem Jahr ist er über Weihnachten bei seinen zukünftigen Schwiegereltern in Hudson Valley.«
Alex bemerkte, dass Kostidis sie die ganze Zeit unverwandt ansah. Sie wusste nicht weshalb, aber sein forschender, ernster Blick verwirrte und verärgerte sie gleichermaßen. Wenn er wusste, wer sie war, dann wusste er auch von ihrer Beziehung zu Sergio Vitali. Erkannte sie da Verachtung in seinem Blick? Sie bemühte sich, gelassen und gleichgültig zu erscheinen. Madeleine und Mary unterhielten sich, ohne dass Alex ein Wort von ihrem Gespräch mitbekam. Als sie wieder aufblickte, trafen ihre Augen die von Nick Kostidis. Für ein paar Sekunden hielten ihre Blicke aneinander fest. Sie spürte, wie ihr eine heiße Röte in die Wangen stieg und wandte sich wieder ab.
»Wir müssen weiter, Maddy«, sagte sie, »die Pferde haben geschwitzt. Sie werden sich erkälten.«
»Oh natürlich!« Madeleine machte ein schuldbewusstes Gesicht. »Ich habe wirklich einen schlechten Pferdeverstand!«
»Noch viel Spaß beim Reiten!«, wünschte Nick Kostidis. »Bis später!«
»Ja, bis später!« Madeleine lächelte und winkte. Schweigend ritt Alex im Schritt neben Madeleine her. Weshalb hatte Kostidis sie so seltsam angesehen? Der Ausdruck in seinen Augen war schwer zu deuten. Wahrscheinlich sagte er in dieser Sekunde zu seiner Frau: ›Hast du sie gesehen? Das ist die Geliebte von Vitali. Ein Gangsterliebchen !‹ Sie hasste es, so verunsichert zu sein, und die Aussicht, dass Kostidis auch auf Downey’s Party sein würde, verdarb ihr die Freude auf die Feier. Am liebsten hätte sie auf der Stelle die Koffer gepackt und wäre von hier verschwunden, bevor sie ihn noch einmal traf.
***
Sie saß noch in ihrem Zimmer, als die ersten Gäste in Lands End House eintrafen, und überlegte, ob sie überhaupt hinuntergehen sollte. Ihr war nicht nach dem üblichen Smalltalk zu Mute. Der Ausritt hatte ihre angespannte Stimmung für einen Augenblick vertreiben können, aber die unerwartete Begegnung mit Nick Kostidis hatte das Glücksgefühl jäh zerstört. Alex fühlte sich nicht wohl in Kostidis’ Gegenwart, und dennoch verspürte sie den Drang, ihn zu sehen. Sie konnte sich ihre widerstreitendenGefühle nicht erklären, diese Mischung aus Anziehung und Abneigung, die der Bürgermeister von New York auf sie ausübte. Es war etwas in seinen Augen, ein Ausdruck, den sie nicht deuten konnte. War es Spott oder Verachtung, oder bildete sie sich das alles nur ein? Von unten vernahm sie Weihnachtsmusik und Gelächter. Sie wusste, dass Trevor und Madeleine enttäuscht sein würden, wenn sie nicht an der Party teilnahm. Schließlich schlüpfte sie in ihr Cocktailkleid von Ferragamo, das sie extra für diesen Anlass mitgenommen hatte, begutachtete ihr Aussehen im Spiegel und öffnete mit einem Seufzer die Tür, um nach unten zu gehen. Die Party war bereits in vollem Gange. Die Bezeichnung ›kleine‹ Christmas-Party war genauso untertrieben wie damals Sergios ›kleine‹ Geburtstagsfeier. Alles, was an der Ostküste Rang und Namen hatte, war eingeladen und natürlich auch gekommen. Doch im Gegensatz zu Sergios Fest tummelte sich hier der alte Geldadel, die wirkliche Upper-Class, die Aristokratie Amerikas. Nicht umsonst wurde der Norden Long Islands ›die Goldküste‹ genannt, und das nicht etwa wegen der Farbe des
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