Unter Haien - Neuhaus, N: Unter Haien
allerhöchster Geheimhaltung in ein Hotel bringen lassen, wo er bis zu seiner Aussage völlig abgeschirmt werden sollte. Darüber waren nur sehr wenige Leute informiert. Und trotzdem hat jemand davon erfahren und den Mann zum Schweigen gebracht.«
Seine Worte erweckten ein schwarzes, leeres Gefühl in Alex’ Innerem, gleichzeitig verspürte sie einen wilden, hilflosen Zorn. Was erwartete Kostidis von ihr? Sie bedeutete ihm nichts. Ihm war es völlig gleichgültig, was mit ihr geschah, wenn sie ihm tatsächlich Informationen über Sergio gab. Er wollte mit allen Mitteln an Sergio herankommen und er fing es wahrhaftig geschickt an, indem er an ihr Gewissen und ihre Moral appellierte. Die Übelkeit wurde stärker.
»Ich weiß nichts von Vitalis Geschäften«, sagte sie. Wusste Kostidis, dass sie ihn anlog?
»Ich will ganz offen sein«, Nick Kostidis ließ sie nicht aus den Augen, »nach Madeleines und Trevors Schilderungen über Sie hatte ich den Eindruck gewonnen, Sie besäßen genug Mut, um das Richtige zu tun.«
Alex starrte ihn stumm an. Mut! Was wusste dieser Mann darüber, wie grausam Sergio sein konnte? Früher war alles so einfach gewesen. Es hatte die Guten und die Bösen gegeben, aber nun war ihre ganze Welt durcheinandergeraten. Nichts war mehr einfach. Ihre Zukunft stand auf dem Spiel, ihre Karriere, ja, sogar ihr Leben. David Zuckerman war tot. Selbst wenn sie dem Bürgermeister nun verriet, wer der Mörder war, würde es den Mann nicht mehr lebendig machen.
»Das hat nichts mit Mut zu tun.« Sie hatte das Gefühl, Kostidis könne ihre Gedanken lesen, ganz so, als trüge sie ein T-Shirt mit Aufschrift: Ich weiß, wer David Zuckerman erschossen hat.
»Mit was dann?«
Alex konnte Kostidis’ Blick nicht länger ertragen. Es war ihm gelungen, sie zu verunsichern. Sie hasste es, auf diese Weise benutzt zu werden. Am liebsten hätte sie sich auf ihn gestürzt, ihn angeschrien, er solle verschwinden und sie in Ruhe lassen. Was hatte sie nur getan, um in eine solche Situation zu geraten?
»Hören Sie, Nick«, sagte Alex und hoffte, einen gelassenen und beherrschten Eindruck zu machen, »Ihre Sorgen sind mir durchaus nicht gleichgültig und wenn ich könnte, würde ich Ihnen helfen, aber ich kann es nicht. Verstehen Sie das?«
Nick Kostidis nickte langsam und seufzte.
»Natürlich«, sagte er und lächelte wieder, aber in seinen Augen lag ein wachsamer Ausdruck, »ich verstehe Sie gut. Vergessen Sie, was ich gesagt habe.«
Ihre Blicke trafen sich. Sie versuchten, sich gegenseitig einzuschätzen.
»Sie wissen ja, wo Sie mich erreichen können.«
»Danke, das wird nicht nötig sein«, erwiderte sie kühl. Kostidis warf ihr einen letzten forschenden Blick zu.
»Vielleicht doch«, sagte er mit einem unergründlichen Lächeln, dann wandte er sich um und verließ den Raum.
Teil Zwei
6. Juni 2000 – LMI
Die Glastür von Alex’ Büro wurde aufgerissen und Mark stürmte in ihr Büro. Auf seinem Gesicht lag ein besorgter Ausdruck.
»Hallo, Mark«, Alex blickte von ihren Akten auf, »was gibt’s?«
Er schloss die Tür hinter sich.
»Haben Sie sich heute schon den Kurs von PBA Steel angeschaut?«
»Ja, heute morgen«, sie sah ihren sonst so besonnenen Mitarbeiter überrascht an, »er stand auf siebzehneinhalb Dollar.«
»Vor zwei Minuten stand der Kurs auf 26,8.«
»Wie bitte?«, sie wandte sich ihren Bildschirmen zu und holte die sich ständig verändernden Werte des laufenden Börsentages. Ungläubig starrte sie auf den Wert von PBA Steel, der nochmals um einen Dollar zugelegt hatte.
»Das ist doch nicht möglich!«
Sie überlegte rasch. Ihr Kunde BLUE STEEL, der größte unabhängige Stahlkonzern der Ostküste, hatte auf ihr Anraten der recht maroden aber alteingesessenen Pittsburgher Stahlhütte erst letzte Woche ein Übernahmeangebot von 21,8336 Dollar je Aktie gemacht, und das war unter Ausschluss der Öffentlichkeit geschehen. Das Management von PBA Steel hatte noch gezögert und wollte zuerst mit seinen Aktionären abklären, ob diese einer Übernahme durch BLUE STEEL zustimmen würden. Selbst für Marktprofis hatte nichts darauf hingedeutet, dass ein solches Übernahmeangebot bevorstand, denn PBA war von einem Bankrott weit entfernt und immer noch ein guter und sicherer Wert. BLUE STEEL hatte im vergangenen Jahr allerdings mit einem neuen Management überdurchschnittliche Gewinne eingefahren und suchte nun Investitionsmöglichkeiten, um von der zu erwartenden Steuer nicht aufgefressen zu
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