Unter uns Pastorentoechtern
kommen Sie, Mr. Secombe“, sagte die alte Dame. „Sie waren sehr gut. Ich konnte jedes Wort verstehen. Es war der Pfarrer, der alles vermasselt hat — die ganze Zeit mit geschlossenen Augen das Fenster anzupredigen.“
„Mrs. Llewellyn war sehr verärgert“, lachte ich. „Sie versuchte ständig, ihn aufmerksam zu machen.“
„Heute abend wird sie ihm ihre Aufmerksamkeit nicht zu knapp widmen.“ Mrs. Richards verschränkte die Arme. „Ganz unter uns Pastorentöchtern, diese Frau behandelt ihn wie einen kleinen Jungen. Es war schon schlimm genug, als sie noch seine Haushälterin war, aber seit die beiden verheiratet sind, ist es mindestens zwanzigmal so schlimm.“
„Wie lange sind sie denn schon verheiratet?“ fragte ich. „Fünf Jahre“, erwiderte meine Wirtin. „Er war bis dahin sein ganzes Leben lang Junggeselle gewesen, und sie war eine alte Jungfer. In diesem Alter kann man keinen Knoten mehr binden.“ Sie hielt inne.
„Noch eine Sache“, fuhr sie fort, „wenn es Ihnen nichts ausmacht, daß ich das sage: Sie müssen bei ihr auf der Hut sein. Jetzt, wo sie Pfarrersfrau ist, glaubt sie, sie habe das oberste Kommando.“
„Ich hoffe, sie bildet sich nicht ein, auch mich herumkommandieren zu können“, sagte ich. „Vielleicht sollte ich meinen Text für den nächsten Sonntag ändern und statt dessen über das Wort ,Niemand kann zwei Herren dienen’ predigen.“
„Komisch, daß Sie das sagen“, erwiderte Mrs. Richards. „Genau das sagte auch Mr. Price an dem Tag, als er hier abreiste.“
3
Nach den Ereignissen des vergangenen Tages war der Pfarrer, als er mich am Montag zu meiner Lektion in Krankenbesuchen mitnahm, nicht eben in der anteilnehmenden Gemütsverfassung, die ich für einen Besuch am Krankenbett für notwendig gehalten hätte.
Der Fußweg zur Balaclava Street Nummer zehn war wie ein Spaziergang im Klostergarten. Der Pfarrer sprach kein Wort, während sein Gesichtsausdruck auch mich davon abhielt, auch nur einen Laut von mir zu geben.
Wir gelangten zu einem Reihenhaus, an dem schon vor einigen Jahren die Farbe von den Fensterrahmen abzublättern begonnen hatte, so daß nun das Holz größtenteils vor sich hin faulte und ungeschützt den Wirkungen der verschmutzten Atmosphäre ausgesetzt war. Die ungewaschenen Vorhänge im Vorderzimmer waren zugezogen und wiesen einige Stellen auf, die Nadel und Faden nötig hatten.
Ein lauter Schlag gegen die Tür unter Verwendung eines rostigen Türklopfers kündigte unsere Gegenwart an. Die Tür wurde von einer grauhaarigen alten Dame geöffnet, die ungekämmt war und einen schmutzigen Kittel über einem bodenlangen Kleid trug.
„Wir kommen, um mit Amos zu beten“, erklärte der Pfarrer.
Wir wurden in das muffige Vorderzimmer geführt, wo die Sonne einen aussichtslosen Kampf gegen die zugezogenen Vorhänge führte. Das einzige Möbelstück war ein eisernes Bettgestell mit unpolierten Messingknäufen und einer Kommode daneben. Offenbar hatte Amos Krebs im Endstadium.
„Wie geht es Ihnen heute?“ fragte der Geistliche.
„Ziemlich unverändert“, flüsterte Amos.
„Ich werde jetzt mit Ihnen beten.“
Es klang mehr wie die Ankündigung der Neun-Uhr-Nachrichten als wie eine Einladung zum Gebet.
Der Kranke schloß die Augen, während der Pfarrer ein kleines Büchlein hervorzog und die Seiten durchblätterte. Als er gefunden hatte, was er suchte, las er seine zwei Gebete mit ungefähr soviel Wärme in der Stimme vor wie ein Mathematikprofessor, der zu seinen Studenten über die Quantentheorie spricht.
Beim zweiten „Amen“ schlug Amos die Augen auf und sah mich unter schweren Augenlidern an.
„Ist das der neue Vikar?“ fragte er.
„Dies ist Mr. Secombe“, stellte mein Vorgesetzter mich vor. „Er wird nächste Woche kommen, um mit Ihnen zu beten.
„Eine Tasse Tee, Herr Pfarrer?“ Mrs. Amos steckte ihren Kopf durch die halboffene Tür herein.
„Nein danke, Lizzie“, erwiderte der Pfarrer sehr zu meiner Erleichterung. „Wir müssen weiter.“
Die staubige Luft von Pontywen war wie Champagner nach dem Mief im Vorderzimmer.
Wir statteten noch drei weiteren Kranken Besuche ab, und jedesmal erschien wieder das kleine Buch, und dieselben beiden Gebete wurden vorgelesen. Jedesmal wurde dem Gefangenen auf dem Krankenbett verordnet, seine geistliche Medizin einzunehmen: einmal in der Woche zwei Gebete.
Nach unserem vierten Besuch sagte der Pfarrer: „Also, Secombe, Sie wissen, was Sie zu tun haben. Gehen Sie
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