Unter uns Pastorentoechtern
Mißgeschick bis vor die Station und ging, inzwischen etwas entspannter, hinein, ohne bis zehn zu zählen. Kühn ging ich direkt auf das Schwesternzimmer zu und klopfte entschlossen an die Tür. Ich hörte das Kratzen eines Stuhls auf dem Fußboden, doch es kam keine Antwort auf mein Klopfen. Meine Nerven gaben nach. Ich versuchte es noch einmal; diesmal war es eher ein sanftes Pochen als ein Klopfen.
„Herein!“ bellte eine ungeduldige Altstimme. Als ich eintrat, fand ich eine stämmige, grauhaarige Dame in blauer Uniform vor, die an einem Schreibtisch saß und über einem Stapel Papiere brütete. Sie blickte nicht auf.
Ich stand da und wartete.
Sie studierte unbeirrt ihr Dossier.
„Ja?“ fragte sie, ohne den Kopf zu heben.
„Ich bin der — äh — neue Vikar von Pontywen“, sagte ich nervös.
„So?“ erwiderte sie barsch und studierte weiter ihren Schreibtisch, als handele es sich um einen faszinierenden Fall, der ihre ganze Aufmerksamkeit erfordere. Ich starrte ebenfalls auf den Schreibtisch, hypnotisiert und sprachlos.
„Nun?“ erkundigte sie sich bei ihrem Schreibtisch.
„Ich möchte gern Mrs. Waters besuchen“, sagte ich und kam mir so ähnlich vor wie Oliver Twist in Gegenwart von Mr. Bumble.
„Zweites Bett rechts“, sagte sie zu dem Schreibtisch.
„Danke, Schwester“, atmete ich tief durch und verließ rasch das Zimmer.
Nun mußte ich mich in die Station wagen, wobei mir peinlich bewußt war, daß sich, sobald ich die Tür öffnen würde, eine Schar weiblicher Gesichter in meine Richtung drehen würde. Und genauso war es. Es schienen Hunderte von bettlägerigen Frauen zu sein. Eine davon, im zweiten Bett rechts, war die Empfängerin meines ersten Krankenbesuchs.
Die Augen fest zu Boden gerichtet, als wäre er der Schreibtisch der Schwester, ging ich auf Mrs. Waters zu. Als ich aufblickte, sah ich eine Dame von Ende Vierzig vor mir, soweit ich es beurteilen konnte.
Die Gattin des Stadtrats hatte ein schmales Gesicht mit scharfen Zügen. Ihre Nase und ihr Kinn standen in Gefahr zusammenzustoßen. Sie hatte den Versuch unternommen, dem Zahn der Zeit Einhalt zu gebieten, indem sie ihr Haar in einer Farbe getönt hatte, die zwischen Rosa und Rot variierte.
„Ich bin der neue Vikar“, sagte ich zu ihr.
„Nett, Sie kennenzulernen“, erwiderte sie.
„Was fehlt Ihnen?“ fragte ich.
Ihr Gesicht nahm die Farbe ihrer Haare an. Es entstand ein kurzes Schweigen, bevor sie flüsterte: „Etwas Internistisches.“
Sie hätten uns auf dem College beibringen sollen, niemals eine weibliche Patientin zu fragen, was ihr fehle, dachte ich.
„Geht es — äh — schon wieder aufwärts?“
„O ja“, antwortete sie, nachdem sie ihre Fassung wiedergewonnen hatte. „Ich hatte die Operation letzten Dienstag, und morgen werden die Fäden gezogen, wenn alles gutgeht. Irgendwann diese Woche soll ich entlassen werden.“
„Schön zu hören“, sagte ich und verstummte. Mir war bewußt, daß etliche Augenpaare auf mich gerichtet waren.
„Ich bin froh, daß Sie gekommen sind“, sagte Mrs. Waters. „Wir kommen nicht oft in die Kirche. Mein Mann hat sonntags oft Versammlungen, von der Partei, wissen Sie. Deshalb kommen wir nicht oft dazu, in den Gottesdienst zu gehen. Aber ich lege großen Wert darauf, daß mein Sohn konfirmiert wird. Ich sage es Ihnen, wie es ist“, fuhr sie fort. „Ich möchte, daß er gute Referenzen hat, wenn er aus der Schule kommt. Nur so kann er es zu etwas bringen, und es wird eine große Hilfe sein, wenn er in seinen Lebenslauf schreiben kann, daß er konfirmiert wurde.“
Auf diese ungemein pragmatische Sicht der Konfirmation wußte ich nichts zu antworten. Ungläubig und sprachlos stand ich da.
„Wie lange sind Sie schon in Pontywen?“ fragte sie. „Drei Tage“, erwiderte ich.
„Irgendwann demnächst sehen wir uns sicher in der Kirche“, sagte sie ohne jegliche Überzeugung.
An dieser Stelle hielt ich es für geraten, den gesellschaftlichen Anlaß in eine Krankenbettübung zu verwandeln.
Nervös fummelte ich in meiner Tasche nach dem Gebetbuch, förderte aber nur das Notizbuch des Pfarrers zutage. Nicht zum ersten Mal in dieser Woche wurde mir heiß und kalt vor Verlegenheit. Es entstand eine Unterbrechung im Gespräch, und Mrs. Waters machte keinerlei Anstalten, es fortzusetzen. Ganz offensichtlich wollte sie, daß ich ging.
Während ich in meiner anderen Tasche nach dem rettenden Buch tastete, stammelte ich: „Äh — möchten Sie gern, daß ich
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