Unter Verdacht
etwas.«
Karen und Ellen sahen sie erwartungsvoll an.
Sylvia zögerte. Das, was sie vorzuschlagen hatte, würde Karen nicht gerne hören, darüber war sie sich klar. Dennoch musste es gesagt werden.
»Auch wenn es sich brutal anhört«, begann Sylvia vorsichtig, »aber Sie müssen Drechsler mehr unter Druck setzen. Sie können nicht Rücksicht auf ihn nehmen, weil er Ihr Freund ist, und sich damit selbst gefährden. Allein die Beobachtung durch Endrich ist nicht ausreichend.«
»Und was soll ich Ihrer Meinung nach tun?«
Sylvia erläuterte jetzt ihre Idee. »Sie nicht. Endrich soll hingehen Drechsler auf den Kopf zusagen, dass er für die Unterschlagungen haften muss, wenn er nicht kooperiert. Bis jetzt hat Drechsler lediglich ein schlechtes Gewissen Ihnen gegenüber. Aber es ist nicht so schlimm, dass er sein Wissen preisgibt. Die Drohung könnte seine Einstellung ändern. Einen Versuch ist es zumindest wert.«
»Vielleicht schweigt er aber auch weiterhin, weil es nicht nur das schlechte Gewissen ist, das ihn abhält«, wandte Karen ein. »Er hat in unserem Gespräch so eine merkwürdige Andeutung gemacht. Er sprach von einem Alptraum. Ich glaube, er steht unter starkem psychischen Druck.«
»Und du stehst bei der Kripo unter dringendem Verdacht«, gab Ellen zu bedenken. »Ich finde, Sylvia hat recht. Du kannst dir keine falsche Rücksicht leisten. Immerhin hat Drechsler deine Lage mit zu verantworten. Dass der Mann Probleme hatte, die ihn veranlassten, so lange zu schweigen, mag ja sein. Aber seine Probleme muss Drechsler selber lösen. Und du musst deine lösen!«
Im Stillen dankte Sylvia Ellen für diese Unterstützung. Nicht, dass Karen nicht wusste, wie ernst das Problem war, aber sie ging Sylvias Meinung nach dennoch zu leichtfertig mit allem um. Karen glaubte nicht wirklich, dass ihr etwas passieren würde, weil sie ja unschuldig war. Ihre, Sylvias Erfahrungen, waren da andere.
Karen zögerte immer noch.
»Holzner und Keller sehen in Ihnen die Täterin, Karen«, erinnerte Sylvia sie. »Drechsler kennt den wahren Sachverhalt. Er kann die Sache richtigstellen. Er schadet Ihnen, wenn er es nicht tut. Nicht aus Bosheit. Aber wissentlich.«
Karen nickte. »Also gut, ich spreche mit Endrich. Aber besonders glücklich bin ich mit dieser Vorgehensweise nicht.«
Sylvia atmete erleichtert auf. Es war ihr gelegen gekommen, dass Ellen das Thema anschnitt. Sie hatte schon überlegt, wie sie Karen klarmachen konnte, dass sie mehr in Drechsler dringen musste.
»Glauben Sie mir, Karen, das ist eine gute Entscheidung«, beruhigte Sylvia sie. »Selbst wenn Drechsler letztendlich doch keinen Namen preisgibt, vielleicht unternimmt er daraufhin etwas, was uns weiterhilft.«
Karen nickte. Dann berichtete sie von ihrem Gespräch mit Ralf Gregor.
»Ich fand es natürlich zunächst merkwürdig, dass sämtliche falsche Gutachten zu Projekten von Ralf gehörten, und habe ihn zur Rede gestellt. Er sagt, er wusste nichts von der Sache. War genauso überrascht wie ich.«
»Vertrauen Sie ihm?« fragte Sylvia.
»Unbedingt«, erwiderte Karen.
»Für einen Zufall aber sehr merkwürdig«, wandte Sylvia ein.
Karen erklärte ihren Standpunkt. »Ich glaube, dass jemand seine Projekte benutzt hat, um ihn zum Sündenbock zu machen. Haben Sie nicht selbst gerade gesagt, dass Betrüger clever genug sind, falsche Spuren zu legen?«
»Das habe ich«, musste Sylvia einräumen.
»Sehen Sie, ich lerne schnell«, witzelte Karen.
»Schön, dass Sie wieder lachen können. Ich befürchtete schon, Ihnen die gute Sonntagslaune verdorben zu haben«, gestand Sylvia.
»Kinder, wie wäre es mit einem Verdauungsspaziergang? Bis zur Nachmittagsvorstellung ist es ja noch ein Weilchen. Lasst uns doch aus der Stadt raus fahren und irgendwo im Grünen anhalten«, schlug Ellen vor.
»Warum nicht«, stimmte Sylvia zu. »Ich habe jedenfalls für die kommenden Stunden genug gefuttert.«
Karen machte dem Kellner ein Zeichen, dass sie bezahlen wollte. »Sie sind natürlich eingeladen, Sylvia«, sagte sie, als sie sah, wie Sylvia in die Tasche griff, um ihr Portemonnaie hervorzuholen. Und in Ellens Richtung: »Ebenso wie du, meine liebe Schwester.«
»Danke, Schwesterherz«, grinste Ellen und küsste Karen auf die Wange.
»Ich danke auch.« Sylvia lächelte verlegen, denn in diesem Moment hätte sie Karen ebenfalls gerne auf die Wange geküsst. Auf Grund des merkwürdigen Zusammentreffens mit Miriam vom Freitag fühlte sie sich jedoch gehemmt. Und
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