Unter Verdacht
den Wald führte. Da es bergauf ging, konnte man nicht erkennen, was hinter dem Hügel lag.
»Wo?« fragte Sylvia neugierig.
Torsten lächelte, schwieg aber beharrlich. Sie gingen den Pfad hoch.
Endlich war Sylvias Blick nicht mehr versperrt. Sie stand vor einer wahren Idylle. Eingebettet im Schoß des Waldes lag vor ihr klar und friedvoll ein See und lud den Betrachter ein, diese Ruhe auf sich übergehen zu lassen. Sylvia folgte mit den Augen dem Bach, der sich aus dem Wald seinen Lauf zum See durchbrach. Sie entdeckte die beschaulich anmutende alte Wassermühle, deren Rad durch das Wasser des Baches angetrieben wurde. Sylvia nahm dieses friedliche Bild in sich auf. »Toll«, war alles, was sie hervorbrachte.
Sie gingen zum Ufer des Sees und folgten dann dem Weg, der am Bach entlang zur Mühle führte. In einer Bauweise, die den in arabischen Ländern üblichen Trockenmauern ähnelte, waren deren Wände zunächst etwa einen Meter Stein auf Stein gesetzt worden. Darüber war in herkömmlicher Fachwerkart gebaut. Das Dach aus Reed war gut erhalten, ebenso wie das mächtige Mühlenrad.
Sie schlenderten weiter. Im Wald verlor sich der Lauf des Baches streckenweise unter der Erde oder das Wasser war so karg, dass es den Anschein hatte, das Flussbett sei trocken. Gelegentlich war der Weg ziemlich unzugänglich. Regenwasser hatte Teile einfach weggespült oder Sturm hatte kleine Bäume umgeknickt.
Torsten überkletterte gerade eines dieser kleinen Hindernisse, die sich in den Weg stellten. Er reichte Sylvia die Hand.
»Ich halte dich fest.« Er bemerkte seinen Fauxpas sofort. Als Sylvia auf der anderen Seite neben ihm stand, wollte er sich entschuldigen. »Kleiner Versprecher.«
»Schon gut. Lassen wir es beim Du«, meinte Sylvia ungezwungen. Die frische Luft, die Bewegung wirkten belebend. »Ich danke dir, dass du mich hierher gebracht hast. Ich weiß nicht, wie lange es schon her ist, dass ich mich das letzte Mal so lebendig gefühlt habe.«
»Fein, dann sollten wir öfter so etwas machen«, schlug Torsten vor.
Nach einem ausführlichen Spaziergang von gut zwei Stunden kamen sie wieder am Parkplatz an. Sylvia fror ein wenig. Sie hatte bei der Auswahl ihrer Kleidung wohl den sommerlichen Wind unterschätzt. Torsten machte im Wagen sofort die Heizung an.
Als sie vor Sylvias Haustür standen, lud sie ihn zu einer Tasse Tee ein. Sie fand, dass sie es ihm schuldig war. Gemeinsam saßen sie in der Küche. Torsten zögerte. »Darf ich dir eine Frage stellen?«
»Wenn du fragst, ob du fragen darfst, kommt mir das spanisch vor. Um welche schwerwiegende Frage handelt es sich denn?«
»Also, es ist mir ein bisschen peinlich, weil es auf dich ziemlich gestellt wirken muss.« Er grinste verlegen. Dann fand er zu seiner gewohnt saloppen Art zurück. »Wie sagt man gleich? – Willst du mit mir gehen?«
Sylvia war völlig überrumpelt. Es dauerte ein paar Sekunden, bis sie ihre Sprache wiederfand. »Findest du nicht, dass das ein wenig übereilt ist?«
»Keineswegs. Übereilt wäre es, wenn ich dich gebeten hätte, mich zu heiraten«, erwiderte er.
Sylvia schüttelte den Kopf. »Du kennst mich kaum«, gab sie zu bedenken.
»Gut genug. Du bist Professorin, also sehr gescheit. Du triffst dich wiederholt mit mir, hast also einen guten Geschmack. Du machst ’ne prima Pizza, kannst also einen Mann ernähren. Und nicht zuletzt bin ich in dich verliebt.«
Sylvia sah wieder diese Fältchen in seinen Augen. Sie lächelte. »Nicht einmal eine Liebeserklärung kannst du mit dem nötigen Ernst rüberbringen.« Im Grunde genommen mochte sie ihn auch.
»Ich bin vielleicht kein besonders ernster Mensch, aber nicht leichtsinnig«, versicherte er. »Gib mir eine Chance, es zu beweisen.«
»Was verstehst du unter einer Chance?«
»Nichts Unanständiges!« beteuerte er. »Nur dass du dir Zeit gibst, mich kennenzulernen.«
»Okay, warum nicht.«
20.
M iriam stürmte zur Bürotür herein. Hinter ihr sah Karen Frau Stahmanns verärgertes Gesicht. Es bedurfte nicht viel Phantasie, sich die vorangegangene Szene auszumalen. Karen nickte Frau Stahmann beruhigend zu.
»Schon gut. Wenn Frau Mehring kommt, lassen Sie sie bitte durch.«
Frau Stahmann nickte und schloss die Tür hinter Miriam.
»Hallo, Miriam. Was führt dich her?«
»Nichts Besonderes. Ich war gerade in der Nähe und dachte, ich schau einfach mal rein.«
Karen glaubte ihr nicht. Es bestand nicht der geringste Grund für einen Freundschaftsbesuch. Das wussten sie
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