Unter Verdacht
Tasten der Zunge öffnete Karen Sylvias Mund. Niemals hatte Sylvia so gefühlt wie in diesem Augenblick. Sie zitterte, klammerte sich an Karen, drängte ihr entgegen. Sylvias Erregung entlud sich in einer heftigen Erwiderung des Zungenspieles. Sie war nahe daran, alles um sich herum zu vergessen. Aber nur nahe dran! Ein jähes Erschrecken vor der eigenen unkontrollierten Leidenschaft durchfuhr Sylvia. Wohin führte das? Sylvias stieß Karen von sich.
»Nein!« Diesmal war ihre Forderung sehr bestimmt.
Karens fragender Blick ruhte auf Sylvia. Dann verzog sich ihr Gesicht zu einem bitteren Lächeln. Also doch! Der Mann auf dem Foto! »Verzeih«, flüsterte Karen.
Sylvia traten Tränen in die Augen. »Es . . . es tut mir leid. Geh jetzt bitte.«
»Natürlich.« Als Karen schon an der Tür war, drehte sie sich noch einmal um. Enttäuscht sagte sie: »Ich werde dich in Zukunft nicht mehr mit meinen Gefühlen belästigen.«
26.
U nd Karen hielt sich an ihre Worte. Sie rief Sylvia nur an, wenn es das Projekt betraf. Trafen sie sich, richtete Karen es möglichst so ein, dass Dritte anwesend waren. Sie vermied es, mit Sylvia allein zu sein. Ansonsten trat sie Sylvia gewohnt sicher entgegen. Dass sie sich hundeelend dabei fühlte, hätte niemand vermutet.
Außer Ellen. Vor ihr konnte Karen ihre Niedergeschlagenheit nicht verbergen. Karen bemühte sich auch nicht darum. Sie lehnte es jedoch ab, darüber zu sprechen. Ellen bohrte nicht weiter. Sie konnte sich ohnehin denken, dass Karens Tief mit Sylvia zusammenhing.
Karen konzentrierte sich auf das Alltägliche. Zumindest versuchte sie es krampfhaft. Dennoch konnte sie nicht verhindern, dass ihre Gedanken unentwegt zu Sylvia wanderten. Sie verstand sie einfach nicht! Mehr als einmal hatte Sylvias Verhalten darauf schließen lassen, dass sie an ihr, Karen, interessiert war. Sylvias offensichtliche Unsicherheit war dabei klar auf die ihr fehlende Erfahrung mit Frauen zurückzuführen. Karen war sich sicher gewesen, dass Sylvia, bei entsprechender Initiative, ihre Zurückhaltung aufgeben würde. Lange hatte sie gewartet, immer wieder einen Gang zurückgeschaltet. Sylvia war eine Frau, die eine solche Mühe wert war. Doch wie lange sollte das noch so weitergehen? Irgendwann kam der Punkt, wo sie sich albern vorkam, einer Frau hinterherzulaufen, die sie immer wieder zurückwies. Sylvia war eine Frau, die durchaus fähig war, Entscheidungen zu treffen. Und sie, Karen, wollte wissen, woran sie war. Nun, jetzt weißt du es. Dein Pech nur, dass es dir nicht gefällt, dachte sie grimmig. »Du dachtest, sie wäre in dich verliebt, ohne es wahrhaben zu wollen. Aber das hast du dir in deiner Eitelkeit nur eingeredet! Sie ist, was sie ist. Eine attraktive Frau, die Männer mag.«
Karen stieß mit Sylvia praktisch in der Eingangstür zu »Candela & Partner« zusammen.
»Hallo, Sylvia, welch unerwarteter Besuch«, grüßte Karen betont freundlich. Eine Freundlichkeit, die dazu geschaffen war, mehr Distanz herzustellen als eine direkte Abweisung. Sylvia versuchte den Stich, den ihr dies versetzte, zu ignorieren.
»Ich bin nur vorbeigekommen, um dir zu erzählen, was ich auf dem Laptop gefunden habe«, erklärte sie so ruhig wie möglich. »Leider ist die Ausbeute mehr als enttäuschend. Ich wollte dich damit nicht am Telefon konfrontieren.«
»Wie rücksichtsvoll.« Karens Zynismus war unüberhörbar. Sylvia ging darüber hinweg.
»Kurz und schlecht. Ich habe besagtem Informatikstudenten eine haarsträubende Geschichte über ein vergessenes Passwort erzählt, und er schaffte es tatsächlich, das Programm zu knacken. Aber weder auf der Festplatte noch auf den Disketten gibt es eine Datei, die Hinweise auf irgendwelche Transaktionen von Geldern enthält.«
»Tja, da kann man nichts machen. Trotzdem danke.« Karen ging in Richtung ihres Wagens. »Sylvia, ich habe es wirklich eilig. Ich bin auf dem Weg nach Reinickendorf. Man hat falsche Träger geliefert, und ich muss das heute noch klären.« Karen entriegelte die Türen ihres Wagens.
Der abweisende Ton machte Sylvia wütend. Auch fand sie Karens Verhalten in den letzten Tagen unverständlich. Sicher, sie hatten eine Auseinandersetzung gehabt. Aber das war schließlich nicht das erste Mal. Um sich ihre Enttäuschung nicht anmerken zu lassen, griff Sylvia Karen ungewohnt aggressiv an: »Was ist los mit dir? Kannst du nicht mit einem einfachen Nein umgehen?«
Der Hieb saß. Karens Augen funkelten Sylvia wild an. »Lieber schlechte
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