Unter Verdacht
hast dich verliebt?« fragte sie ungläubig. »Klar! Was sonst sollte die sonst stets so kühle und sachliche Professorin aus der Fassung bringen. Endlich!«
»Anne, bitte, nicht so laut.«
Doch Anne interessierte nur eines. »Wer?«
»Du fragst wer, und ich weiß nicht einmal, ob überhaupt.«
»Du sprichst in Rätseln.«
»Es ist auch kompliziert.«
»Und wie ich dich kenne, gedenkst du, die Sache erst gründlich zu analysieren, statt einfach mal deinem Gefühl nachzugeben.«
»In Anbetracht der Tatsache, dass ich diese Gefühle für eine Frau empfinde – schon.«
In den Jahren ihrer Freundschaft hatte Sylvia Anne noch nie sprachlos erlebt. Anne starrte Sylvia an. Dann schluckte sie. »Das ist kein Witz, oder?«
»Siehst du mich lachen? Anne! Hilf mir. Du bist meine einzige Freundin! Ich weiß nicht, was ich machen soll.«
»Erzähle!« forderte Anne auf.
»Mit ihr ist alles so – anders. In ihrer Nähe fühle ich mich . . . schwach und stark zugleich. Sie bringt mich dazu, völlig verrückte Sachen zu tun. Ich habe nur noch einen Wunsch: in ihrer Nähe zu sein.«
»Hast du sie geküsst?« fragte Anne.
»Eigentlich hat sie mich geküsst, aber das spielt wohl keine Rolle angesichts der Tatsache, dass ich weder den Willen noch die Kraft hatte, mich zu wehren. Anne, ich kenne mich mit meinem Gefühl überhaupt nicht mehr aus!«
»Also, ich kann ja nur von mir sprechen. Aber mich machen Frauen überhaupt nicht nervös, egal, wie attraktiv sie sind. Und davon ausgehend würde ich sagen, du bist verliebt. Also mein Rat – lass es einfach auf dich zukommen.«
»Ich wünschte, du hättest das nicht gesagt.«
»Aber Sylvia, was ist so schlimm daran?«
»Erinnerst du dich, wie du mir brühwarm die Liebesgeschichte unseres neuen Kollegen serviertest?«
»Ja, schon, aber das war doch nur Spaß, das weißt du doch. Ich bin nun mal ’ne Klatschbase. – Du denkst doch nicht, dass ich, mit dem, was du mir gerade erzählt hast, hausieren gehe?«
»Natürlich nicht. Aber stell dir vor, wie die lieben Kollegen reagieren, wenn sie erfahren, dass ich mit einer Frau . . . So etwas lässt sich doch auf Dauer nicht verheimlichen.«
»Lebenslanges Zölibat scheint mir aber auch keine akzeptable Alternative«, meinte Anne. »Ist es diese Architektin?« fragte sie dann.
»Ja«, gab Sylvia zu.
Anne sah Sylvia jetzt beschwörend an. »Sylvia, vermassele es dir nicht!«
Sylvia seufzte ausgiebig. »Das kommt noch dazu. Ich fürchte, ich habe es schon vermasselt.«
»Zur Abwechslung mal etwas Positives«, sagte Werner Mehring, als er am frühen Abend Karen in ihrem Büro gegenübersaß. »Im Fall Drechsler hat man die Tatwaffe gefunden.«
»Aha. Und wo?« fragte Karen. Sie war nur halb bei der Sache. Das Gespräch mit Sylvia lastete auf ihrem Gemüt.
»In einem Fundament, etwas zehn Meter vom Fundort der Leiche entfernt, also ziemlich genau an der Stelle, von wo geschossen wurde. Der Täter hat die Waffe in ein gerade gegossenes Fundament geworfen. Der Lauf der Pistole war nicht ganz im Zement untergegangen und fiel einem der Bauarbeiter auf. Natürlich keine verwertbaren Fingerabdrücke mehr.«
»Und warum ist das positiv für mich?«
»Die Waffe gehörte Drechsler selbst. Das spricht für Sie. Denn auch wenn Drechsler nicht gerade ein Hüne war, wären sie wohl kaum in der Lage, ihn zu überwinden, die Waffe abzunehmen und dann auch noch zehn Meter weit zu kommen, bis Sie auf ihn schießen. Ich sehe keine echte Möglichkeit für die Kripo, Ihnen in dieser Sache noch weiter Schwierigkeiten zu machen. Ein Telefonat, ein Briefumschlag mit Ihrem Namen. Das reicht nicht für eine Anklage.«
»Und was ist mit der Theorie des engagierten Mörders?«
»Wie gesagt, es war Drechslers Waffe. Ein bezahlter Mörder hätte in jedem Fall eine eigene Waffe benutzt.«
»Da wird Sachs aber enttäuscht sein«, sagte Karen sarkastisch.
»Vielleicht auch nicht. Man hat eine neue Spur gefunden. Beim Überprüfen der Telefonnummern in Drechslers Memory stieß man auf eine Frau, eine gewisse Marianne Freiberg. Wie es aussieht, war Drechsler mit ihr vor fast dreißig Jahren mal liiert. Drechsler rief diese Frau fünf Tage vor seinem Tod an. Nach Frau Freibergs Erzählung wollte sich Drechsler mit ihr treffen, um über ihren gemeinsamen Sohn zu reden. Frau Freiberg war darüber sehr erstaunt, denn sie hat gar keinen Sohn, nur eine Tochter. Drechsler wollte das zuerst nicht glauben. Sie musste es ihm mehrmals fest
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