Unter Verdacht
verschwand in Richtung Toiletten. Als Karen jetzt hochsah, stand Sylvia vor ihr.
»Das habt ihr euch fein ausgedacht«, kommentierte Karen die offensichtliche Absprache trocken.
Sylvia setzte sich. Da sie nicht wusste, wie lange Karen so friedlich sitzenblieb, kam sie gleich zur Sache.
»Ich möchte, dass du mir endlich die Möglichkeit gibst, dir zu erklären, was ich empfinde.«
»Ich lege keinen Wert auf eine Erklärung, die morgen schon wieder hinfällig sein wird«, wehrte Karen ab.
»Ich verstehe ja, dass du sauer bist. Ich habe dich immer wieder zurückgewiesen. Und plötzlich komme ich an und sage dir, dass ich dich brauche. Denkst du, ich spiele mit dir?«
»Genau das denke ich.«
Sylvia wollte Karen unterbrechen. Doch die sprach unbeirrt weiter. »Nein, Sylvia, nicht bewusst! Das weiß ich. Jetzt, in diesem Moment, bist du überzeugt, dass du es ernst meinst. Aber bald wirst du dich deiner sogenannten Schwäche zu mir schämen oder dir deiner Selbst nicht sicher genug sein, was auf dasselbe hinausläuft.«
»Dich deiner schämen? Bist du verrückt? – Du missverstehst das Ganze! Erinnerst du dich, was du einmal zu mir gesagt hast, als ich dich fragte, welchen Traumtyp du mir empfiehlst? Du sagtest, ich soll in mich hineinhören. Das habe ich getan. Aber ich habe nicht das gehört, was ich erwartete. Das hat mich irritiert. Willst du mir das vorwerfen?«
»Nein, das ist nicht der springende Punkt«, sagte Karen.
»Sondern?«
»Es wird dich immer wieder irritieren. Ich glaube nicht, dass deine Gefühle für mich anhalten, wenn die erste Aufregung vorbei ist. Es wird dir auffallen, dass es trotz unserer offenen Gesellschaft ungleich schwieriger ist, eine Beziehung mit einer Frau zu führen als mit einem Mann. Die Menschen sehen dich von einem Augenblick zum nächsten mit ganz anderen Augen. Eine Frau, die nicht an Männern interessiert ist!? Für Männer wirst du damit zur Konkurrenz, für Frauen eine, mit der man plötzlich über nichts mehr reden kann. Worüber auch – denken sie. Familie? Lesben und Schwule sind doch Exoten! Die haben mit Familie nichts am Hut. Kinderwunsch? Dito. Mode? Kleiden sich Lesben nicht wie Männer? Und apropos – Männer. Na, zu diesem Thema werden sie dich zuallerletzt befragen. Wann und wo hättest du dir eine Meinung über die bilden sollen? Dein Freundeskreis wird sich auf diese Weise nicht gerade erweitern. Deine Karriere ist als Frau schon schwer genug, aber als Lesbe kannst du dich gleich von der Vorstellung verabschieden, dass es noch irgendwie weitergeht. Und wenn dir all das irgendwann klar wird, wirst du gehen. Und ich bleibe zurück. Davor habe ich zu große Angst.«
Sylvia schüttelte den Kopf. »Die Angst vor einer Trennung kann ich dir nicht nehmen, Karen. Aber wenn, werden die Gründe andere sein. Ich weiß, dass ich noch nie für jemanden so empfunden habe wie für dich. Und ich fühle mich stark und sicher genug für eine Beziehung mit dir.«
Karen trommelte nervös mit den Fingern auf der Tischplatte. So gerne wie sie Sylvia glauben wollte – ihre Erfahrungen sprachen eher dagegen.
»Tut mir leid«, erwiderte sie. Dann stand sie auf und ging.
Ellen kam wieder. Der Kellner sah pikiert zu ihnen herüber. Der andauernde Wechsel der Damen an dem Tisch irritierte ihn merklich.
»Und?« fragte Ellen.
»Ich fürchte, ich war nicht überzeugend genug.«
Sylvia gab Ellen das Gespräch wieder. Ellen verstand. Sie erzählte Sylvia von Michaela. Sylvia begann zu ahnen, was in Karen vorging. Es war nicht nur ihre fortwährende erschrockene Ablehnung, die Karen verletzt hatte. Hinzukam eine vertrackte Duplizität der Ereignisse Karens Erfahrung mit Michaela betreffend. Und deshalb schottete sie sich ab.
»Ich hätte eben eher auf meine innere Stimme hören sollen«, stellte Sylvia deprimiert fest.
»Ah, ich dachte mir, dass du noch kommst«, begrüßte Karen ihre Schwester. »Dir ist wohl klar, dass wir beide ein Hühnchen miteinander zu rupfen haben.«
Ellen ließ sich im Wohnzimmer auf die Couch fallen.
»Ich verstehe kein Wort«, erwiderte sie unschuldig. Nach dem Essen mit Sylvia wollte sie nun sehen, in welcher Verfassung Karen war.
Karen, uneins mit sich, ob sie Ellen böse sein sollte oder nicht, setzte sich ihr gegenüber.
Vor einer Stunde, als Karen das Restaurant verlassen hatte, war sie ziemlich aufgewühlt gewesen. Der instinktiven Abwehr gegenüber Sylvias Worten war jedoch bald Nachdenken gefolgt. Immerhin meinte es Sylvia
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