Untergang
ficken, aber nicht die Kellnerinnen.«
Annie war sichtlich einverstanden, im Leben, da konnte man sich so einiges erlauben, aber wenn man eine Bar führte, dann durften die Kellnerinnen nie, aber auch wirklich nie gefickt werden. Matthieu und Libero versicherten, dass ihnen so etwas Schreckliches nie in den Sinn gekommen wäre.
Zu ihrer Überraschung mussten sie schon am nächsten Tag feststellen, dass Annie, deren Tüchtigkeit doch tadellos war, von ihren früheren Anstellungen her die merkwürdige Angewohnheit übernommenhatte, jeden Repräsentanten des männlichen Geschlechts, der die Tür zur Bar aufstieß, mit einer Zärtlichkeit von flüchtiger, aber dennoch nachdrücklicher Natur an den Eiern zu empfangen. Niemand entging der Betastung. Sie näherte sich dem Neuankömmling, strahlend lächelnd, gab ihm zwei schmatzende Küsse auf die Wangen, während ihre linke Hand mir nichts, dir nichts seinen Schritt erkundete, indem sie mit den Fingern zudrückte. Der Erste, der für diese Manie herhalten musste, war Virgile Ordioni, der mit seinen Armen voller Wurstwaren auftauchte. Er wurde knallrot, lachte kurz auf und blieb im Gastraum stehen, ohne so recht zu wissen, was tun. Matthieu und Libero hatten zunächst überlegt, Annie zu bitten, sich doch vielleicht etwas weniger freundschaftlich zu zeigen zu Beginn, aber es beschwerte sich niemand, ganz im Gegenteil, die Männer aus dem Dorf tauchten mehrmals täglich auf, kamen sogar während der für gewöhnlich leeren Stunden, die Jäger verkürzten ihre Treibjagden und Virgile holte sich den Ehrenpunkt, da er tagtäglich von den Bergen herabstieg, und sei es nur, um Kaffee zu trinken, also sagten Matthieu und Libero nichts, nicht ohne stillschweigend die scharfsichtige Annie zu loben, deren unglaubliche Klugheit die Schlichtheit der männlichen Seele erfasst hatte. Nach Ladenschluss zogen sie allabendlich auf Rekrutierungsfeldzug und drehten ihre Runden über Campingplätze und Strände. Sie suchten mittellose, zur monotonen Badefreude gezwungene Studentinnen, die vielleicht an Saisonarbeit interessiert waren, und hatten bald die Qual der Wahl. Noch vor Ende Juli hatten sie vier Kellnerinnen gefunden. Sie spannten auch noch Pierre-Emmanuel Colonna ein, der grade erst sein Abi hinter sich hatte und während seiner Sommerferien für ein ihm ergebenes, aber kleines, familiäres Publikum Gitarre spielte. Er konnte sich über die Professionalisierung seiner Aktivität nicht beklagen, da er nicht nur einen lebhaften Erfolg bei den Gästen der Bar erzielte – deren ästhetische Ansprüche, zugegeben, so leicht zu befriedigen waren, dass selbst die von einem stinkbesoffenen Virgile Ordioni gegrölten Serenaden enthusiastischen Beifall ernteten –, sondern auch von Annie schon am ersten Abend für sein Talent belohnt wurde, die ihn nach Ladenschluss gegen den Billardtisch drückte, um ihn auf den Mund zu küssen und alles andere als zaghaft abzutasten, bevor sie ihm eine Nacht schenkte, deren Geilheit seine noch so gewagten Teenagerträume weit hinter sich ließ. Am nächsten Tag weckte sie ihn morgens, indem sie ihn mit Küssen und Komplimenten überschüttete und ihm ein reichhaltiges Frühstück, das sie für ihn liebevoll zubereitet hatte, im Bett seiner Heldentaten servierte, wo sie es ihn mit einer so glänzenden und reinen Träne im Auge verschlingen sah, dass sie darüber beinahe mütterlich wirkte. Pierre-Emmanuel Colonnas bis dahin eher freudloses und ruhiges Leben war in einen Sturzbach von Wollüsten gerissen worden, und manchmal, wenn er ihm seine Gage auszahlte, sagte Libero lachend zu ihm: »Bei dem Sommer, den ich dir hier serviere, müsstest eigentlich du mich bezahlen!«
Zu Saisonende gingen sie mit Annie, den Kellnerinnen, Pierre-Emmanuel und sogar Gratas in einem großen Restaurant essen, es sollte ein Dinner zum Dank und zum Abschied sein, gefolgt von einer durchzechten Nacht im Club. Obgleich die Mädchen, abgesehen von Annie, in der Folgewoche zurückreisen mussten, nach Mulhouse, nach Saint-Étienne, nach Saragossa, schlug Libero ihnen vor zu bleiben. Er wusste nicht, ob er sie den ganzen Winter über würde behalten können, aber die Saison war extrem lukrativ gewesen und er konnte es sich erlauben, einen Versuch zu starten. Er gestand ihnen allerdings nicht, dass sein großzügiges Angebot in erster Linie einer grundlegend wirtschaftlichen Überlegung geschuldet war: Er setzte auf die Anziehungskraft, die die Anwesenheit von vier jungen,
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