Untergrundkrieg
anstrengend.
Wir waren sieben Geschwister. Ich bin der drittälteste. Als mein älterer Bruder sechzehn war, ging er auf eine Armeeschule. Danach musste ich bei der Milchproduktion helfen. Das war schwere Arbeit.
Meine Eltern waren sehr streng. Auch in Kleinigkeiten, zum Beispiel, wie man beim Essen die Stäbchen zu halten hatte. Besonders mein Vater, der in einem Kavallerieregiment gedient hat, konnte das Kommandieren nicht lassen. Ich habe mich nie gut mit ihm verstanden. Hauptsächlich bin ich von zu Hause fort und nach Tokyo gegangen, weil mein Vater nie auf mich hörte. Wir waren sehr gegensätzliche Menschen. Zu der Zeit wurde mein Bruder übrigens in die Mandschurei versetzt, und als ich fort wollte, ließen meine Eltern mich nicht ziehen. »Dein Bruder ist nicht da, und du willst weg? Was soll dann aus dem Hof werden? Du bleibst, bis wir wissen, ob dein Bruder noch lebt oder tot ist«, sagten meine Eltern.
Aber als der Krieg zu Ende war, wurde mein Bruder von der Mandschurei nach Taschkent in die Ukraine geschickt und musste Zwangsarbeit leisten. Als Ingenieur war er sehr wertvoll, und sie brauchten ihn, um Wagen und Traktoren zu bedienen. Deshalb ließen sie ihn ewig nicht nach Hause. Wenigstens war er nicht in Sibirien oder so. Erst 1953, acht Jahre nach dem Krieg, kehrte er nach Japan zurück. Wir wussten nicht mal, ob er noch am Leben war, bis wir 1950 einen Brief von ihm bekamen.
Deshalb waren mir die Hände gebunden, und ich konnte nicht von zu Hause fort. Ich hasste es, die Milch auszuliefern. Außerdem war ich in der Pubertät und hatte viele Pickel. Wenn ich beim Ausliefern einem Schulmädchen begegnete, schämte ich mich so sehr, dass ich weglief und mich versteckte.
Nachdem wir 1950 erfahren hatten, dass mein Bruder am Leben war, war mein Vater beruhigt und erlaubte mir zu gehen. Wenn mein Bruder zurückkam, würden sie mich nicht mehr brauchen. Ich ging sofort nach Tokyo. Das war 1951. Ich war damals einundzwanzig.
Ich hatte mir nicht richtig überlegt, was ich eigentlich in Tokyo vorhatte. Deshalb machte ich natürlich eine Menge Unsinn. »Hätte ich nur das nicht gemacht und jenes nicht gesagt« – so ging es mir dauernd. Aber wenn mir eine Idee durch den Kopf schoss, musste ich sie sofort in die Tat umsetzen. In Tokyo traf ich dann zufällig einen Bekannten aus meiner Heimatstadt, der Handtücher produzierte und mir anbot, bei ihm anzufangen. So fand ich Arbeit.
Es ist mir ein bisschen peinlich, es zuzugeben, aber bevor ich nach Tokyo ging, hatte ich beim Milchausliefern 3000 Yen unterschlagen ( lacht ). Aber jetzt kann ich es ja gestehen, oder? Damals waren 3000 Yen eine Menge Geld. Die Zugfahrt von Fukui bis Ueno kostete nur 800 Yen. Es war das Milchgeld von etwa zwölf oder dreizehn Kunden. Ich hab’s einfach eingesteckt und bin nach Tokyo gefahren.
Schließlich habe ich sehr lange Zeit für die Handtuchfabrik in Nihombashi gearbeitet. Erst nach 33 Jahren – das war 1984 – habe ich aufgehört. Ich war Vertreter und nahm im Außendienst die Bestellungen entgegen.
Geheiratet habe ich in dem Jahr, als die Rotlichtviertel geschlossen wurden. Das war 1958, oder? 18
Murakami (lachend): Ich weiß es nicht genau.
Ich glaube 1958. Fusae Ichikawa hat das Gesetz durchgedrückt [Verbot der Prostitution]. Am 10. März 1958. An dem Tag habe ich geheiratet. Am Heldengedenktag. Irgendwann war ich einmal zu Besuch bei meinen Eltern, und eine Nachbarin sagte, sie wisse ein Mädchen für mich. So einfach ging das. Allmählich war es sowieso Zeit für mich, eine Familie zu gründen. Am nächsten Tag haben wir uns gleich getroffen.
Als mein Vater davon erfuhr, war er außer sich, weil er ja meinen gedankenlosen und unüberlegten Charakter kannte. »Einfach so jemanden zu heiraten, den du nicht kennst! Das geht nicht nur dich etwas an. Das Ansehen der Familie steht auf dem Spiel.« Es gab einen Riesenkrach. Im Nachhinein betrachtet hatte er natürlich Recht. Ich bin selber Vater, und als meine Tochter geheiratet hat, habe ich genau das Gleiche gedacht.
Jedenfalls sah ich sie am nächsten Tag. Sie kam nur einmal ins Zimmer, sodass ich ihr Gesicht gar nicht richtig gesehen habe. Ihre Eltern übernahmen das Gespräch, und ich war ganz allein. Meine zukünftige Braut kam herein, wir begrüßten uns kurz, und das war’s. Die Eltern gaben mir Sake zu trinken. Ich weiß nicht mehr, ob sie mir gefiel oder nicht. Immerhin war sie damals viel schlanker als jetzt, und ich fand sie wahrscheinlich
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