Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Untergrundkrieg

Titel: Untergrundkrieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
Vom Netzwerk:
ging zurück ins Büro, nahm die Tabletten und musste mich gleich wieder übergeben. Ich würgte richtig, aber es kam nur Wasser und die Tabletten, die ich genommen hatte.
    Inzwischen gab das Fernsehen immer mehr Einzelheiten bekannt. In Kodemmacho waren zwei Menschen ums Leben gekommen. Achtzig weitere mussten ins Krankenhaus eingeliefert werden. Als ich bei der Polizei anrief, um zu fragen, in welches Krankenhaus ich fahren sollte, nannten sie mir das Tajima-Hospital in Ryogoku.
    Meine Augen sind immer noch nicht wieder in Ordnung. Wenn ich nur mit dem linken schaue, ist die Sonne ganz verdeckt, wie bei einer Sonnenfinsternis. Bis zum 20. März letztes Jahr hatte ich das nicht. Inzwischen trage ich eine Brille, die ultraviolette Strahlen filtert. Ohne sie kann ich nicht aus dem Haus gehen. Im Fernsehen kann ich fast nichts erkennen.
    Ich bin auch schneller müde und habe keine Kraft in den Muskeln. Nach einem halben Tag auf den Beinen bin ich völlig erledigt. »Das kommt nicht vom Sarin, das kommt vom Alter«, sagt mein Arzt. Aber ob man mit einem Schlag so altern kann? Das kommt mir doch sehr seltsam vor. Aber ich habe keinen Beweis dafür, dass es wirklich mit dem Anschlag zu tun hat.
    Murakami: Sind Sie vergesslicher geworden?
    Einen Moment mal. Ich frage meine Frau, ich weiß es nicht genau. ( Geht und kommt zurück .) Sie sagt, ich sei sehr vergesslich geworden. Ich tue etwas und vergesse mittendrin, was ich machen wollte. Und ich verlege Sachen.
    Außerdem rede ich seit dem Anschlag noch weitschweifiger. Wenn ich anfange, etwas zu erklären, macht sich die ganze Familie aus dem Staub. Die Neigung hatte ich früher schon, aber in letzter Zeit ist es ganz schlimm geworden. Seit dem Anschlag trinke ich auch mehr. Früher habe ich mich mit Sake begnügt, aber inzwischen trinke ich auch Whiskey. Eine Zweiliterflasche leere ich in einer Woche. Ich kann nicht schlafen, also trinke ich Whiskey. Ich trinke, dann schlafe ich.
    Gegen zwei gehe ich auf die Toilette. Ich gehe um acht ins Bett, und um zwei wache ich ganz natürlich auf. Dann döse ich noch bis halb vier. In dieser Zeit träume ich. Meist den gleichen Traum. Ich gehe irgendwo umher und jemand stößt mit mir zusammen. Ich denke »ach je, der Ärmste«, aber ich bin derjenige, der umfällt. Man bringt mich ins Krankenhaus und der, der mit mir zusammengestoßen ist, entschuldigt sich bei mir. Das träume ich immer wieder. Wenn ich aufwache, bin ich schweißgebadet.
    Das sage ich nicht zu jedem, aber persönlich bin ich der Meinung, dass Asahara die Todesstrafe verdient hat. Ich würde jeden, der so was tut, zum Tode verurteilen. Der Prozess zieht sich in die Länge, aber ich würde das Urteil gerne noch erleben. Es käme mir irrsinnig vor, wenn die Jahre vergingen und ich vor ihm stürbe.

»Er war ein sehr anspruchsloses Kind«
Kichiro Wada (64) und Sanae Wada (60), Eltern des verstorbenen Eiji Wada
    Das Haus der Wadas steht auf dem Land am Rand von Ueda in Shioda Daira, nicht weit von dem Thermalbad Bessho. Als ich sie besuchte, begann das Herbstlaub gerade zu fallen, aber die Berge leuchteten noch tiefrot und gelb, und die Zweige der Apfelbäume in den ausgedehnten Obstgärten bogen sich unter dem Gewicht der reifen roten Früchte. Eine idyllische Herbstlandschaft breitete sich vor mir aus.
    Die Gegend war einst Zentrum der Seidenherstellung mit zahllosen Maulbeerbäumen, von deren Blättern sich die Seidenraupen ernährten. Nach dem Krieg wurde die Seidenproduktion eingestellt, und Nassreisfelder wurden angelegt.
    »Wir hier in unseren kleinen Dörfern verstehen nicht viel von dem, was die Regierung so beschließt« , sagt Herr Wada resigniert. Er ist ein ruhiger, wortkarger Mann, der aber vieles in seinem Herzen zu bewegen scheint. Seine Frau Sanae dagegen ist sehr gesprächig und ein warmherziger mütterlicher Typ.
    Die Familie besitzt ungefähr einen Hektar Reisfelder und je einen Hektar Land mit Apfel- und Gemüseplantagen. Zum Abschied schenkten sie mir frisch geerntete Äpfel, die ganz köstlich schmeckten.
    Nach ihrer Heirat lebten die Wadas eine Zeit lang ausschließlich von der Landwirtschaft, was jedoch zunehmend schwerer wurde, sodass Herr Wada sich Arbeit in einer Fabrik suchen musste und »halb Landwirt, halb Arbeiter« war. An seinen freien Tagen arbeitete er auf dem Feld. Die doppelte Belastung setzte ihm sehr zu. Als sein Sohn Eiji bei dem Gasanschlag ums Leben kam, erholte er sich lange nicht von dem Schock und gab schließlich seine

Weitere Kostenlose Bücher