Untergrundkrieg
mit Ihnen? Was ist passiert?« Ich weiß noch, dass er nach meiner Firma fragte. Ich glaube, ich habe ihm meine Monatskarte gezeigt, weil da mein Firmenausweis dabei war. Genau weiß ich es nicht mehr. Dann versank alles und ich habe keine Erinnerung mehr, was danach passierte.
Erst fünf oder sechs Stunden später bin ich in einem Krankenhausbett wieder zu mir gekommen.
Um Haaresbreite wäre es aus mit mir gewesen. Drei Dinge haben mich gerettet: Erstens, dass ich etwas gerochen habe, dann, dass ich rausgerannt bin, und drittens, dass ein Fremder sich meiner angenommen und mich ins Krankenhaus gebracht hat. Ohne diese drei Umstände wäre ich bestimmt nicht mehr am Leben.
Und wenn ich jetzt darüber nachdenke, bilde ich mir ein, dass der verstorbene Herr Tanaka, als ich den Geruch wahrnahm, noch zu mir gesagt hat: »Mir ist nicht mehr zu helfen. Retten Sie sich!«
Während die anderen Pendler immer noch in die U-Bahn strömten und umfielen wie die Fliegen, war ich schon auf dem Weg ins Krankenhaus, wo ich sofort behandelt wurde. Wenn man Sarin eingeatmet hat, zählt jede Sekunde. Ich war das dritte Sarin-Opfer, das ins Krankenhaus eingeliefert wurde. Später habe ich erfahren, dass der Beutel mit dem Sarin nur zehn Meter weit von Herrn Tanaka, dessen Beine ich festhielt, entfernt lag.
Am Nachmittag sah ich ein bisschen Licht. Ich konnte noch nichts erkennen, aber es wurde zumindest etwas heller. Es war, als hätte ich Seifenblasen vor den Augen. Ich sah so verschwommen, als guckte ich durch dicke Schichten von Seifenschaum. Meine Familie war da, aber erst als jemand etwas sagte, habe ich das gemerkt.
Es war grauenhaft. Ich musste mich dauernd übergeben, aber es kam nichts, nur eine wässrige Flüssigkeit. Ich hatte Krämpfe in den Beinen. Eine Schwester und meine Schwägerin mussten sie mir bis zum Abend massieren. Ich glaube, ich hatte bestimmt die gleichen Symptome wie der Mann am Bahnhof. Er konnte nicht sprechen und schien schrecklich zu leiden.
Meine Familie musste sich auf das Schlimmste gefasst machen, aber am dritten Tag hatte ich es wohl geschafft. Obwohl es am Anfang übel um mich gestanden hatte, verschwanden die Symptome, und ich konnte dann doch ziemlich schnell entlassen werden. Am vierten Tag bekam ich hohes Fieber, ungefähr 39 Grad, das zwei Tage lang nicht runterging. Meine Nierentätigkeit war beeinträchtigt, sodass ich zunächst noch nicht entlassen wurde. Bei unserer alljährlichen Betriebsuntersuchung war immer alles in bester Ordnung gewesen. Es hatte keine Schwachpunkte gegeben. Deshalb erstaunte es mich zu hören, dass meine Nieren so schlecht funktionierten.
Dreizehn Tage verbrachte ich im Krankenhaus und erhielt während der ganzen Zeit Blutwäschen. Das Schlimmste war, dass ich alle fünf Minuten auf die Toilette musste. Es kamen immer nur ein paar Tropfen, aber wegen diesem andauernden Harndrang konnte ich in der Nacht kaum schlafen.
Ab dem vierten Tag bekam ich so etwas wie Visionen. Immer wenn ich gerade am Einschlafen war, hatte ich den gleichen Traum. Ich liege in einem blendend weißen Zimmer, und von der Decke senkt sich ein weißes Tuch über mich. Es flattert und stört mich, also versuche ich danach zu greifen und es zu zerreißen. Aber ich komme nicht dran, aber nicht, weil es zu hoch ist. Obwohl es direkt über mir ist, kriege ich es nicht zu fassen. Jede Nacht, immer der gleiche Traum.
Während ich träumte, hatte ich das Gefühl, irgendetwas drücke mit aller Kraft auf meinen ganzen Körper. Vor lauter Angst bin ich dann aufgewacht. Alpträume sind anscheinend eine Folgeerscheinung bei Sarin-Vergiftung. Ich nenne es Traum, aber eigentlich sind das keine normalen Träume. Wenn Angst sich im Gehirn festsetzt, kommt es zu solchen Reaktionen. Es war sehr beängstigend, und ich bin jede Nacht drei- oder viermal hochgeschreckt. Das war ziemlich hart.
Allmählich wurden die Abstände zwischen den Träumen länger, aber es dauerte über sechs Wochen, bis sie ganz aufhörten. Als ich aus dem Krankenhaus entlassen wurde, bekam ich ein Schlafmittel, aber es hat nicht viel geholfen.
Außerdem hat meine Sehkraft sehr nachgelassen. Da ist nicht viel zu machen, sie ist eben schlechter als vor dem Anschlag, und es gibt keine Aussicht auf Besserung. Deshalb kann ich bei der Arbeit die feineren Sachen nicht mehr machen. Ich muss beim Prüfen des Layouts ganz genau die Linien sehen. Das ist nicht einfach.
Danach war ich eine Woche krankgeschrieben. Eigentlich hätte ich noch
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