Untergrundkrieg
hübsch. So wurde die Heirat beschlossen. »Das wäre erledigt«, dachte ich. Aber wegen des Gerangels mit meinem Vater heirateten wir erst ein halbes Jahr später.
Nun also zum Sarin-Anschlag. An dem Tag dauerte die Fahrt von Takezuka bis Kita-Senju länger als sonst. Der Zug fuhr langsamer, und ich wunderte mich schon die ganze Zeit darüber. In Kita-Senju ertönte die Durchsage: »Wegen einer Explosion in Tsukiji kommt es zu Verspätungen.« Dann hieß es: »Fahrgäste, die in Eile sind, werden gebeten umzusteigen.« Doch da ich es nicht besonders eilig hatte, blieb ich im Zug. Umzusteigen wäre lästig gewesen, und ich musste sowieso erst um neun in der Firma sein. Ich hatte also reichlich Zeit.
Die Bahn hielt etwa zehn bis zwanzig Minuten in Kita-Senju, und auch als sie endlich weiterfuhr, machte sie zwischendurch immer wieder Halt. In Minami-Senju oder Minowa blieb sie mit geöffneten Türen stehen. Unterwegs wurde noch einmal etwas von »Verletzten in Kasumigaseki« durchgesagt. Da wusste ich natürlich noch nichts von dem Giftgas und konnte mir kein Bild machen, was »Verletzte« bedeutete.
In Ueno hielten wir dann ziemlich lange. Es kam wieder eine Durchsage: »Der Zug fährt in absehbarer Zeit nicht weiter. Fahrgäste, die in Eile sind, werden gebeten umzusteigen. Andere Züge stehen für Sie bereit.« Inzwischen war die Bahn fast leer, alle waren ausgestiegen, aber irgendwie schaffte sie es noch bis Akihabara, wo dann endgültig Schluss war. »Dieser Zug fährt nicht weiter. Bitte aussteigen.« Das war gegen 8.30 oder 8.40.
Ich beschloss, den Rest zu Fuß zu gehen. Bis Ningyocho sind es von dort nur noch zwei Stationen. Aber als ich am Bahnhof Kodemmacho vorbeikam, standen da lauter Rettungswagen, und Menschen lagen überall auf dem Asphalt. Verwundert ging ich ein paar Stufen in den U-Bahn-Eingang hinunter. Auch auf der Treppe lagen Leute, lehnten sich an die Wände oder krümmten sich auf dem Boden. Ein Bahnbeamter hatte sich seine Mütze heruntergerissen und umklammerte stöhnend seinen Hals. Ein Mann im Anzug jammerte: »Meine Augen, meine Augen, was ist mit meinen Augen?« Was da vorging, war mir ein Rätsel.
Als ich wieder oben war, sah ich in der Nähe der Sanwa-Bank, wie ein Mädchen sich um einen Verletzten kümmerte. Zwei oder drei Rettungswagen kamen, aber das reichte bei weitem nicht aus. Die Straße war voller Menschen, die sich vor Schmerzen krümmten, an ihren Kragen und Krawatten rissen oder sich übergaben. Ein Mädchen wollte sich mit dem Taschentuch den Mund abwischen, aber sie schaffte es nicht einmal, ihr Taschentuch herauszuholen. Beschämt verbarg sie ihr Gesicht.
Die ganze Zeit fragte ich mich, was wohl geschehen war, aber allen ging es so schlecht, dass ich niemanden fragen konnte. Feuerwehrleute rannten mit Bahren hin und her und hatten keine Zeit zum Reden.
Ein Mädchen lag ein wenig abseits auf dem Boden. »Helfen Sie mir!« rief sie. Als ich sie fragte, was denn passiert sei, konnte sie mir auch keine Antwort geben. Sie sagte immer nur: »Bitte, holen Sie Hilfe!«
Polizei war nicht zu sehen. Nur die Feuerwehrleute rannten mit ihren Bahren wie aufgescheucht herum. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Niemand konnte mir etwas sagen. Also beschloss ich, trotz allem zur Arbeit zu gehen.
Ich ging die Ningyocho-Allee entlang zu meiner Firma. Obwohl es ein schöner Morgen war, kam es mir dunkel und bewölkt vor. Es war warm, und beim Gehen geriet ich ins Schwitzen, aber als ich in der Firma ankam, war die Sonne bereits verschwunden.
Im Büro musste ich mich übergeben. Als ich reinging, war mir alles sehr dunkel vorgekommen. Ich hatte den Fernseher eingeschaltet, dann war mir übel geworden. Ich ging in die Toilette und erbrach eine Menge Zeugs, entleerte meinen ganzen Magen.
Die Nachrichten im Fernsehen berichteten schon über den Anschlag, und meine Kollegen rieten mir, zum Arzt zu gehen. Der Arzt in einer Praxis in der Nähe sagte mir, es sei nur eine Erkältung. »Aber im Fernsehen berichten sie schon darüber«, widersprach ich ihm. Der Arzt machte den Fernseher an, aber leider wurde in den NHK -Nachrichten noch nichts über den Anschlag gesagt. »Da ist nichts im Fernsehen. Das wird schon, Sie haben nur eine Erkältung. Gegen Ihre Kopfschmerzen nehmen Sie das hier um die Mittagszeit«, sagte er und gab mir zwei Kopfschmerztabletten.
Murakami: Sie hatten auch Kopfschmerzen?
Ja, aber ich habe öfter mal Kopfschmerzen, deshalb habe ich mir nichts dabei gedacht. Ich
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