Untergrundkrieg
nicht messbar, also unberechenbar ist, Macht bekommt, entsteht ein Gebilde wie die Aum-Sekte. Hält man sich an messbare Werte, dann kann man diese Gefahr fast ausschließen.
Murakami: Aber welche Realität haben denn Messungen überhaupt? Weichen sie nicht je nach Standpunkt voneinander ab? Außerdem sind Daten grundsätzlich manipulierbar, und man muss entscheiden, wann die Anzahl der Messungen ausreicht. Gar nicht zu reden von der Zuverlässigkeit der Instrumente, mit denen man die Messungen durchführt.
Wenn man zum Beispiel die statistischen Methoden der Medizin anwenden würde, könnte es funktionieren. Man diagnostiziert die Symptome – dieses oder jenes lässt auf diese oder jene Krankheit schließen, gegen die man dieses oder jenes tun kann.
Murakami: Sie lesen wahrscheinlich keine Romane?
Nein, mehr als drei Seiten schaffe ich nicht.
Murakami: Als Schriftsteller nehme ich die Gegenposition ein und halte die Dinge, die nicht messbar sind, für die wichtigsten. Selbstverständlich stelle ich Ihre Lebens- und Denkweise nicht in Frage, möchte Ihnen aber entgegenhalten, dass der größte Teil unseres Daseins auf dieser Welt von nicht messbaren Umständen bestimmt ist. Es ist unrealistisch, sie messbar machen zu wollen.
Sie haben Recht. Ich halte diese unberechenbaren Dinge keineswegs für wertlos, ich finde nur, dass es in der heutigen Welt zu viel unnötiges Leid gibt. Und die Ursachen für dieses Leid nehmen in unserer Gesellschaft permanent zu. Unkontrollierte Begierden bringen den Menschen viel Leid. Zum Beispiel die Gier nach Essen oder Sex.
Aum wollte diese psychischen Belastungen verringern und dadurch die Kraft des Individuums vermehren. 99 Prozent der Anhänger sehen in der Aum-Praxis eine Methode, geistige und physische Phänomene zu betrachten und Rezepte oder Lösungen für den Umgang mit ihnen zu finden. Das Image der Weltuntergangssekte mit ihrer Endzeitphilosophie oder so etwas ist nur ein Produkt der Medien. In meiner näheren Umgebung gab es keinen, der sich für die Prophezeiungen von Nostradamus interessiert hat. Auf einem solchen Niveau kann man doch niemanden überzeugen.
Was ich wirklich leisten möchte, ist, östliche Gedankensysteme wie das des Karma und der Seelenwanderung wissenschaftlich zu erfassen. Wenn man zum Beispiel nach Indien fährt, begegnet man vielen Menschen, die ganz natürlich daran glauben, es gehört zu ihrem Leben. Aber bei uns in den fortschrittlichen Ländern müssen Ideen eine wissenschaftliche Basis haben, damit die Leute sie verstehen, damit sie ihnen einleuchten. Erst dann können sie sie annehmen.
Murakami: Vor dem Krieg glaubte ein Großteil der Japaner, der Kaiser sei ein Gott, und war bereit, für diese Überzeugung zu sterben. Finden Sie das richtig? Wenn man an etwas glaubt, ist es richtig?
Wenn danach alles zu Ende wäre, wäre es richtig, aber im Hinblick auf ein nächstes Leben ist eine buddhistische Lebensweise besser.
Murakami: Aber besteht der Unterschied nicht allein darin, dass die einen an den Kaiser und die anderen an die buddhistische Seelenwanderung glauben?
Schon, aber das Ergebnis ist ein anderes. Was man bekommt, nachdem man für den Kaiser gestorben ist, ist etwas anderes als das, was man bekommt, wenn man als Buddhist gestorben ist.
Murakami: Ja, das sagen die Buddhisten. Aber die Leute, die an den Kaiser glaubten, waren auch überzeugt, dass ihre Seele in Frieden im Yasukuni-Schrein ruhen würde, wenn sie ihr Leben für ihn geopfert hätten. Sind Sie damit wirklich einverstanden?
Deshalb denke ich ja über eine Methode nach, den Buddhismus mathematisch zu beweisen. Nur weil es eine solche Methode noch nicht gibt, kommt es überhaupt zu solchen Diskussionen. Mehr kann ich dazu nicht sagen.
Murakami: Wenn es also eine Methode gäbe, das Gottsein des Kaisers wissenschaftlich nachzuweisen, wären Sie einverstanden?
Genau. Solange sich das Opfer vorteilhaft auf das nächste Leben der Person auswirken würde, hätte ich nichts dagegen.
Murakami: In diesem Zusammenhang möchte ich noch einwenden, dass die Wissenschaft in der Geschichte häufig von Politik und Religion manipuliert worden ist. Die Nazis haben das beispielsweise getan. Es gab eine Menge pseudowissenschaftlicher Forschung, die sich im Nachhinein als falsch herausgestellt hat. Das hat der Gesellschaft großen Schaden zugefügt. Sie sind ein Mensch, der gründlich nachdenkt und Beweise sammelt, aber die meisten Menschen nehmen etwas, das als »wissenschaftlich
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