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Untergrundkrieg

Titel: Untergrundkrieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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unglücklich ist. Schmerzen bereitet nur das Bedürfnis, von anderen geliebt zu werden. Jedenfalls fand ich heraus, dass sexuelle Liebe und reine Liebe verschieden sind und dass man sich, wenn man sich danach richtet, den Schmerz unerwiderter Liebe ersparen kann.
    Murakami: Das klingt ungemein logisch. Wahrscheinlich erfahren die meisten Leute in ihrem Leben irgendwann einmal eine einseitige Liebe, aber kaum jemand würde daraus solche Schlüsse ziehen.
    Glaube ich auch nicht, aber ich habe schon immer sehr viel nachgedacht. Schon mit zwölf habe ich solche philosophischen Überlegungen angestellt. Wenn ich einmal anfange, kann ich sechs Stunden am Stück über eine Sache nachdenken. Das ist für mich das wahre Lernen. In der Schule ging es immer mehr um die Jagd nach Punkten.
    Wenn ich versuchte, mit meinen Freunden darüber zu reden, verstanden sie mich nicht. Selbst die guten Schüler sagten höchstens erstaunt: »Du hast vielleicht ausgefallene Ideen.« Mehr kam dabei nicht heraus. Ich begegnete nie jemandem, mit dem ich über die Probleme sprechen konnte, die mir am Herzen lagen.
    Murakami: Heranwachsende, die sich mit derlei essentiellen Fragen herumschlagen, lesen meist sehr viel. Sie suchen Rat in Büchern.
    Lesen ist mir im Grunde zuwider, denn beim Lesen entdecke ich ständig alle möglichen Fehler. Besonders bei philosophischen Büchern geht mir das so. Die wenigen, die ich gelesen habe, konnte ich kaum ertragen. Meiner Meinung nach ist es die Aufgabe der Philosophie, den Menschen zur tieferen Einsicht zu verhelfen, damit sie »Rezepte« für sich entdecken, die ihnen sagen, was sie tun sollen. Konkret gesagt, damit sie den Sinn des Lebens in seiner Tiefe begreifen, Erfüllung finden und glücklich werden. Alles dient diesem einen Ziel. Die Hauptsache sind für mich diese »Rezepte«, sie sind der Weg. Aber die Bücher, die ich gelesen habe, dienten lediglich dem Zweck, die sprachlichen Fähigkeiten der großartigen Herren Gelehrten vorzuführen. Dieser wichtigtuerische Kram kann mir gestohlen bleiben. Die Philosophie war für mich eine Enttäuschung.
    Als ich mir in der sechsten Klasse eine Schere genauer ansah, habe ich etwas erkannt. Ein Erwachsener hatte diese Schere mit viel Mühe und Sorgfalt geschaffen, aber sie würde dennoch eines Tages kaputtgehen. Alles, was eine Gestalt hat, vergeht irgendwann. Auch der Mensch. Der Tod ist unausweichlich. Alles, was lebt, steuert unaufhaltsam auf seine Vernichtung zu, und eine Umkehr gibt es nicht. Kurz gesagt, Zerstörung ist das Prinzip des Universums. Nachdem ich zu diesem Schluss gekommen war, sah ich die Welt ziemlich negativ.
    Wenn man am Ende des Lebens sowieso ausgelöscht wird, ist es doch egal, ob man als Präsident oder Penner endet, oder? Warum soll man sich abrackern? Eine Zeit lang beherrschte mich ein niederschmetternder Gedanke: Wenn im Leben der Schmerz überwiegt und nicht die Freude, wäre es doch besser, sich schnellstmöglich umzubringen.
    Aus diesem Dilemma gibt es nur einen einzigen Ausweg: ein Leben nach dem Tod. Darin liegt die einzige Möglichkeit. Als ich diesen Begriff zum ersten Mal hörte – das heißt, las, in einem Buch von Tetsuro Tanba – hielt ich ihn für Quatsch. Überhaupt hatte ich sein Buch »Was wird aus uns, wenn wir sterben?« nur gelesen, um zu sehen, welche Dummheiten darin stehen.
    Ich bin jemand, der alles, was er einmal angefangen hat, zu Ende führt. Mit »Es wird schon irgendwie werden« kann ich mich nicht zufrieden geben. Ich muss in der Lage sein, genau zu unterscheiden, was ich verstehe und was nicht. Beim Lernen geht es mir genauso. Bei jedem neuen Punkt kommen mir sofort zehn neue Fragen in den Kopf. Und bevor ich die nicht geklärt habe, kann ich nicht weitergehen.
    Murakami: Ihre Lehrer waren davon bestimmt nicht begeistert. (Lacht)
    Nein, wirklich nicht. Wenn zum Beispiel von einem »bläulichen Grün« die Rede war, konnte ich das so nicht akzeptieren. Leider wurden meine Fragen nie hinreichend beantwortet.
    Jedenfalls half mir Tetsuro Tanbas Buch nicht weiter, aber er erwähnte eine Schrift von Swedenborg, die ich mir besorgte. Ich las sie und war sehr überrascht. Swedenborg war ein berühmter Gelehrter, ein Naturforscher von Nobelpreisformat. Mit fünfzig wurde er zu so etwas wie einem Visionär und schrieb sehr viel über das Leben nach dem Tod. Es begeisterte mich, wie logisch und scharfsinnig seine Argumentation war. Verglichen mit anderen Werken zum Thema waren seine Überlegungen logisch

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