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Untergrundkrieg

Titel: Untergrundkrieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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gemeinsam mit dem Bus dorthin gefahren. Als Nichtmitglied war es mir nicht gestattet, ihm Fragen zu stellen. Bei Aum muss man einen Rang einnehmen, sonst geht gar nichts. Und ein Rang kostet Geld. Erst ab einer bestimmten Ebene durfte man mit Asahara reden. Wer noch höher aufstieg, bekam eine Blumengirlande. Das konnte ich in Nagoya beobachten und fand es ziemlich albern. Außerdem störte es mich, dass Asahara fast wie ein Gott verehrt wurde.
    Ich hatte von Anfang an die Aum-Zeitschrift Mahayana abonniert. Zuerst war ich davon begeistert. Im Mittelpunkt standen die authentischen Erfahrungen einzelner Mitglieder, die sie unter ihrem richtigen Namen in einer Kolumne mit dem Titel »Wie ich Mitglied von Aum wurde« schilderten. Die Aufrichtigkeit dieser Leute beeindruckte mich zutiefst. Genau das gefiel mir an der Zeitschrift. Nach einer Weile ging es in dem Blatt jedoch fast nur noch um Asahara und die Verherrlichung seiner Person. Wenn Asahara irgendwohin ging, legten die Anhänger ihre Kleider auf den Boden, damit er darüberschreiten konnte. Das ging mir dann doch ein bisschen zu weit. So etwas ist mir unheimlich. Wenn eine Person zu stark verherrlicht wird, ist die Freiheit in Gefahr. Außerdem war Asahara verheiratet und hatte eine Menge Kinder, was ich in Hinblick auf die ursprünglichen Lehren des Buddhismus merkwürdig fand. Er rechtfertigte sich, indem er sich als Vollkommen Erleuchteten bezeichnete, der nicht mehr dem Gesetz des Karma unterworfen sei. Ob er wirklich vollkommen erleuchtet war, wusste natürlich niemand.
    Ich behielt meine Zweifel lieber für mich, denn es kamen außergewöhnlich viele Mitglieder von Aum bei Verkehrsunfällen ums Leben.

    Das kam mir seltsam vor, und ich fragte Frau Takahashi, eine Anhängerin, mit der ich befreundet war, ob sie das nicht auch unnatürlich fände. »Nein«, sagte sie. »Das ist ganz in Ordnung. In vier Milliarden Jahren wird der Meister als Miroku Bosatsu 29 wiedergeboren und die Seelen dieser Toten erwecken.« Was für ein Unsinn, dachte ich.
    Aum verfolgte damals auch Taro Maki, den Herausgeber der Zeitschrift Sunday Mainichi , die Aum wiederholt kritisiert hatte. Als ich fragte, warum, bekam ich zur Antwort: »Es ist gleichgültig, was auf dieser Welt mit uns geschieht. Diejenigen, die in der Nähe des Meisters leben, sind für immer gesegnet. Auch wenn wir heute in die Hölle stürzen, wird er uns morgen aus ihr erretten.«
    Aus diesen Gründen pflegte ich längere Zeit nur sporadisch Kontakt zu Aum. 1993 suchte mich ein Herr Kimura von Aum mit einem Shizuoka-Nummernschild zu Hause auf. Er hatte seinen Besuch bereits telefonisch angekündigt. Er wolle mit mir reden. Ich war einverstanden, denn ich war den Treffen längere Zeit ferngeblieben und neugierig, was inzwischen alles passiert war. Aber je mehr er redete, desto wirrer wurde es. Er sprach davon, was geschehen würde, wenn der Dritte Weltkrieg ausbräche, und faselte von Laser- und Plasma-Waffen. Science-Fiction total. Ziemlich interessant, aber auch ziemlich bedenklich.
    Immer heftiger wurde ich von Aum dazu gedrängt, jetzt endlich Mitglied zu werden. Dass ich wirklich beitrat, hatte viel mit Frau Takahashi zu tun, die ich schon erwähnt habe.
    Meine Großmutter war gerade gestorben, und ich war ziemlich niedergeschlagen. Frau Takahashi rief mich an und sagte: »Ich bin gerade erst Mitglied geworden und würde gern mit dir darüber reden.« Sie war siebenundzwanzig, also sechs Jahre jünger als ich. Ich hatte ganz stark das Gefühl, dass es sich um eine schicksalhafte Begegnung handelte. Wir kamen uns auch sehr nah, und im April 1994 wurde ich Mitglied.
    Der Tod meiner Großmutter muss dabei eine Rolle gespielt haben. Außerdem geriet die Firma, bei der ich arbeitete, in eine Flaute und begann, Leute zu entlassen. Zu allem Überfluss konnte ich diese krankhafte Depression, von der ich schon erzählt habe, nicht loswerden und hoffte auf eine entscheidende Besserung, wenn ich Aum beitrat.
    Außerdem gefiel mir Frau Takahashi. Ich war nicht in sie verliebt oder so, aber ich hatte sie sehr gern. Sie war ganz verrückt nach Aum, aber war das auch gut für sie? Ich war immer noch skeptisch und hielt es für besser, sie etwas zu bremsen. Am einfachsten war es, wenn ich mich selbst Aum anschloß – so hatte ich mehr Gelegenheit, sie zu sehen und mit ihr zu sprechen. Ich weiß, das klingt nach einer Ausrede.
    Zum Glück war die Aufnahmegebühr inzwischen auf 10.000 Yen [ca. 1000 Euro] gesenkt worden.

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