Untergrundkrieg
reinen Herzens. Ich kenne viele solche Leute, und sie tun mir sehr leid. Bei Aum landen oft solche, die nicht ins System passen, weil sie sich entweder selbst nicht wohl darin fühlen oder von den anderen ausgeschlossen werden. Ich habe sie gern und kann problemlos mit ihnen befreundet sein. Sie sind mir viel näher als die meisten angepassten Typen. Der wahre Schuldige ist Asahara. Er ist sehr stark und hat ungeheuer viel Macht.
Mit der Zeit freundete ich mich komischerweise mit den Polizisten an, wahrscheinlich, weil ich so viel mit ihnen zu tun hatte. Am Anfang hatte ich Angst vor ihnen und fand sie unheimlich, aber dann wurden wir allmählich Freunde. Kennen Sie den Film Caspar, der freundliche Geist ? Zuerst haben alle Angst vor ihm, aber dann freunden sie sich mit ihm an. Genauso ging es mir auch. Als ich ihnen bereitwillig die Post zeigte, die ich von Aum bekam, wurden sie viel freundlicher. Anscheinend gibt es viele anständige und ehrliche Polizisten. Sie haben schließlich auch keinen leichten Job und nehmen ihre Arbeit ernst. Also beschloss ich, vernünftig mit ihnen zu kooperieren.
Zu Neujahr erhielt ich einen Brief von Frau Takahashis Mutter. »Wir haben alles falsch gemacht«, schrieb sie. Am Anfang war auch sie leidenschaftliche Aum-Anhängerin gewesen und sogar initiiert. Ich wollte mich unbedingt mit ihrer Tochter treffen, es gab so viel zu bereden. Ich sagte das den Polizisten und zeigte ihnen den Brief.
Wahrscheinlich kam ihnen in diesem Augenblick die Idee, mich als Spitzel einzusetzen. Sie bestellten mich aufs Revier und fragten, ob ich bereit sei, als Polizeispitzel zu fungieren. Ich weiß nicht mehr genau, ob sie das Wort Spitzel verwendeten, aber darauf lief es hinaus. Ich würde mich innerhalb von Aum bewegen und der Polizei Bericht erstatten. Natürlich hatte ich keine große Lust, den Spitzel zu spielen. Mir lag nur daran, mit Aum-Anhängern in Kontakt zu sein. Da ich mich andererseits schon mit den Polizisten angefreundet hatte und quasi mit ihnen in einem Boot saß, willigte ich schließlich ein. Irgendwie würde ich es schon hinkriegen.
Von Natur aus bin ich eigentlich ein Taugenichts. Gutmütig, aber ein Einzelgänger, ohne Freunde. Einer, der in der Firma nie aufsteigt und alle Anraunzer abkriegt. Dem keiner etwas zutraut. Deshalb fühlte ich mich im Grunde sogar ein bisschen geschmeichelt, als die Polizei mich so vertrauensvoll um meine Mitarbeit bat. Auch wenn es nur die Polizei war – ich war dankbar für jede Art von Anerkennung. In meiner Firma, einer Spedition, redete kaum jemand mit mir, und Freunde hatte ich schon gar nicht. Die Aum-Leute gab es auch nicht mehr, und Frau Takahashi war Nonne geworden und verschwunden. Also dachte ich mir, es könnte nichts schaden, so was mal zu machen. Das war wahrscheinlich ein Fehler.
Murakami: Hat es sich für Sie gelohnt, Spitzel zu sein?
Der Sinn und Zweck des Ganzen war ja eigentlich, Verbindung zu Frau Takahashi aufzunehmen. Und sie vielleicht zurückzuholen. Außerdem sehnte ich mich nach dem Umgang mit Aum-Mitgliedern, aber nicht als Spitzel oder so was. Aber ohne die Billigung der Polizei hätte ich als Aum-Sympathisant gegolten, und davor hatte ich Angst. Ich wäre wie ein Verbrecher gewesen. Aber mit der Polizei im Rücken würde alles glatt gehen. Außerdem hoffte ich, ein paar Mitglieder zum Austritt bewegen zu können. Aber letzten Endes war das alles ziemlich unehrlich von mir, oder?
Murakami: Ob unehrlich, weiß ich nicht. Jedenfalls eine ziemlich verzwickte Geschichte.
Sehr verzwickt. Aber Frau Takahashi tat mir auch so leid. Das beherrschte mein ganzes Denken. Wenn es so weiterging, konnte es passieren, dass sie wie eine Kriminelle behandelt wurde. Ich musste sie zum Austritt überreden, aber ich hatte ja keine Ahnung, wo sie überhaupt war. Vielleicht würde ich durch die Zusammenarbeit mit der Polizei etwas rauskriegen. Im Endeffekt habe ich dann doch nie erfahren, wo sie ist. Ich erkundigte mich dauernd nach ihr, aber nicht einmal die Polizei konnte sie ausfindig machen. Sie wussten nur, dass sie noch Nonne war. Oder wenn sie doch mehr wussten, haben sie es mir nicht gesagt.
Jedenfalls schlug der Plan, mich bei Aum einzuschleusen, sowieso fehl, denn die Ortsgruppen in Fukui und Kanazawa waren geschlossen worden.
Murakami: Dann sind Sie doch noch einmal glimpflich davongekommen. Interessieren Sie sich eigentlich für die Weissagungen des Nostradamus?
Sehr sogar. Ich bin jetzt sechsunddreißig. Nostradamus hat
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