Untergrundkrieg
hielten mich für einen verantwortungslosen Kerl.
Am siebten Juli legte ich die Gelübde ab. Ich hatte meine Eltern von meinem Plan unterrichtet. Das war Ende Juni, als ich krankgeschrieben war. Sie kamen sofort. Und sie waren ziemlich sauer. Ich gab mir redlich Mühe, sie zu überzeugen, aber ich konnte nichts ausrichten. Meine Eltern waren zwar damit einverstanden, dass ich mich mit dem Buddhismus beschäftigte und ihn studierte, aber Aum Shinrikyo galt für sie nicht als Buddhismus. Ich versuchte ihnen zu erklären, dass Aum, auch wenn es vielleicht nicht den Anschein hat, auf der buddhistischen Lehre aufbaut. Aber sie waren Außenstehende, und ich konnte sie nicht überzeugen.
Sie wollten, dass ich sofort mit ihnen zurück nach Hokkaido fuhr. Ich müsste mich zwischen ihnen und »denen« entscheiden. Es war eine sehr schwere, quälende Entscheidung. In Hokkaido würde ich nur mein bisheriges Leben fortführen. Nichts wäre gelöst. Ich entschloss mich, den Weg des Buddhismus zu gehen, und wurde Mönch. Aber es ist mir damals wirklich nicht leicht gefallen.
Mit einem meiner Kollegen an der Schule war ich sehr gut befreundet. Er kam fast jeden Tag mit einem Bier bei mir vorbei. »Du willst doch nicht im Ernst aufhören, oder?«, fragte er mich und versuchte, mich von meinem Entschluss abzubringen. Dabei hatte er Tränen in den Augen. Aber ich war dabei, etwas zu tun, das ich mir seit meiner Kindheit gewünscht hatte. So konnte ich ihm nur sagen, ich müsse es tun, auch wenn es mir sehr leid tue.
Nachdem ich die Gelübde abgelegt hatte, fuhr ich geradewegs nach Naminomura in Aso, wo ich auf der Baustelle arbeitete. Das Dach des Aum-Gebäudes war fast fertig. Die Arbeit war schwer, aber interessant und ganz anders als alles, was ich bisher getan hatte. So anregend, als würde ich einen anderen Teil meines Gehirns einsetzen. Danach kehrte ich in die Zentrale am Fuji zurück, wo ich verschiedene Tätigkeiten ausübte. Anschließend arbeitete ich am Bau von Satyam 2 in Kamikuishiki mit.
Die erste Zeit nach dem Ablegen der Gelübde wird als das »Sammeln von Verdiensten« bezeichnet. Man verrichtet hauptsächlich schwere Arbeiten. Ein paar asketische Übungen sind auch dabei, aber das meiste ist Knochenarbeit. Ich lebte ganz anders als in meiner Zeit als Lehrer. Weder brauchte ich mich um zwischenmenschliche Belange zu kümmern, noch hatte ich Verantwortung zu tragen. Ich war ganz unten, als hätte ich neu in einem Betrieb anfangen, und musste nur befolgen, was die Vorgesetzten mir sagten. Psychologisch war das äußerst bequem.
Dennoch fühlte ich mich als über dreißigjähriger Aussteiger ziemlich unsicher. Was sollte aus mir werden, wenn die Sache schief ging? Es führte kein Weg zurück, und daher betrieb ich meine Askese-Übungen besonders intensiv. Ich hatte nichts und niemanden mehr. Wenn ich nichts für mich erreichte, wäre mein Verzicht verfehlt.
Im September des nächsten Jahres [1991] ging ich wieder nach Aso. Diesmal arbeitete ich als Lehrer für die Kinder der anderen Mönche und Nonnen. Insgesamt waren es siebzig bis achtzig Kinder. Ich unterrichtete Naturwissenschaften. Es gab auch Lehrer für Japanisch, Englisch und andere Fächer. Die meisten waren ehemalige Lehrer wie ich. Wir entwarfen einen Lehrplan und gestalteten das Ganze so ähnlich wie an einer normalen Schule. Naoko Kikuchi unterrrichtete dort Musik. Sie kam von einer pädagogischen Hochschule.
Murakami: War der Unterricht sehr religiös orientiert?
Im Japanisch-Unterricht wurden buddhistische Schriften verwendet, aber in den Naturwissenschaften gibt es da ja kaum Berührungspunkte. Es fiel mir schwer, Aum-Lehren in meinen Unterricht einzubeziehen, und ich erkundigte mich beim Gründer (Asahara) danach.
»Da die Naturwissenschaft zur realen Welt gehört, ist es egal, was Sie machen«, sagte er. Ich fragte noch mal nach, ob ich das auch wirklich richtig verstanden hätte ( lacht ).
Also hatte ich es recht leicht. Ich nahm Sendungen aus dem Fernsehen auf und benutzte sie als Unterrichtsmaterial. Außerdem verwendete ich Material aus meinem Unterricht von früher. Die ganze Sache machte mir großen Spaß. Irgendwann wurde ich von Aso nach Kamikuishiki versetzt. Ich unterrichtete nun auch die Kinder des Gründers, und manchmal erzählte er mir, wie sehr ihnen mein Unterricht gefalle. Das ging etwa ein Jahr, dann begann meine Zeit der Askese.
In religiösen Dingen war der Meister zweifellos ein Mensch von außergewöhnlichen
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