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Untergrundkrieg

Titel: Untergrundkrieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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könnte es nicht geschehen, dass ein Mensch, der anfangs ein ausgezeichneter Lehrer zu sein schien, im Laufe der Zeit eine unbegreifliche oder gar falsche Richtung einschlägt? Wie ein Computer, in den ein Virus eingedrungen ist, seltsame Reaktionen zeigt. Und es fehlt eine dritte Person, die das System überprüft?
    Das weiß ich nicht.
    Murakami: Absolute Hingabe schließt meiner Ansicht nach diese Gefahr naturgemäß ein. Sie waren zwar nicht an dem Anschlag beteiligt, aber logisch gesehen, hätten Sie doch auch gehorchen müssen, wenn Ihr Guru Ihnen befohlen hätte, Poa anzuwenden, oder?
    Die Frage nach den Grenzen der Hingabe betrifft wahrscheinlich die meisten Religionsgemeinschaften. Ich vermute mal, dass ich einen entsprechenden Befehl nicht ausgeführt hätte. Das heißt natürlich nur, dass ich nicht gläubig genug bin ( lacht ) und mein Selbst nicht überwunden habe. Man könnte sagen, ich bin noch zu schwach. Außerdem bin ich ein Mensch, der erst weitergehen kann, wenn er von etwas überzeugt ist. Sehr rational.
    Murakami: Wenn man Sie also irgendwie überzeugt hätte, hätten Sie eventuell mitgemacht? Wenn man Ihnen erklärt hätte: »Inaba, so und so sieht es aus. Deshalb müssen wir jetzt Poa ausführen.« Was dann?
    Hm, keine Ahnung. Schwer zu sagen.
    Murakami: Ich wüsste gern, welchen Platz das Selbst in der Lehre von Aum Shinrikyo einnimmt. Bis wohin entscheidet das Individuum und ab wann der Guru? Ich konnte Ihnen bisher gut folgen, aber in diesem Punkt ist mir noch vieles unklar.
    Das so genannte Selbst kann in Wirklichkeit niemals ganz unabhängig werden. Es wird immer allen möglichen Einflüssen von außen unterworfen sein, Erfahrungen und bestimmten Denkmustern. Deshalb kann man nie wissen, bis wohin das wahre, reine Selbst reicht. Im Buddhismus steht am Anfang die Erkenntnis, dass das Selbst, das man für sein Selbst hält, nicht das wahre Selbst ist. Also liegt so etwas wie Gehirnwäsche dem Buddhismus völlig fern. Der Satz »ich weiß, dass ich nichts weiß« von Sokrates kommt der Sache viel näher.
    Murakami: Man könnte doch das Selbst als eine Art Black Box beschreiben, die aus einer Oberfläche und einem darunter liegenden Unbewussten besteht. Manche Menschen halten es für ihre Aufgabe, diese Black Box zu öffnen, um die Wahrheit zu finden. Etwas Ähnliches stelle ich mir unter dem Astralleib vor, den Sie beschrieben haben.
    Ein Mittel, um diesen tiefsten Teil des Selbst zu erkennen, ist die Meditation. Aus buddhistischer Sicht liegen die Schwachpunkte eines Menschen tief im Unbewussten verborgen. Durch Meditation kann man sie aufspüren und korrigieren.
    Murakami: Wenn ein Mensch in diese Tiefen vordringt, sollte er zugleich bereit sein zu akzeptieren, was er dort findet. Sonst könnte es gefährlich werden. Wenn ich jedoch die Aussagen der Angeklagten höre, habe ich den Eindruck, dass sie dazu nicht imstande waren. Analyse und Intuition funktionieren schließlich nicht auf derselben Ebene. Um es deutlicher zu sagen: Sie haben nur die Analyse geleistet und die Intuition jemand anderem überlassen. Ihre Sichtweise wurde extrem statisch. Deshalb konnten sie sich nicht gegen eine außergewöhnlich dynamische Persönlichkeit wie Asahara behaupten.
    Ich glaube, ich weiß nicht genau, was Sie meinen, aber ich kann es mir ungefähr vorstellen. Wahrscheinlich geht es Ihnen um den Unterschied zwischen Wissen und Weisheit. Das eine bezeichnen Sie als Analyse, das andere als Intuition.
    Vergessen Sie aber nicht, dass es auch Personen gibt, die mit aller Kraft an ihrer persönlichen Entwicklung und Erleuchtung arbeiten und die mit dem Anschlag nicht das Geringste zu tun haben. Natürlich hat Aum schreckliche Verbrechen begangen, aber andererseits werden auch Mitglieder, die in Wirklichkeit gar nichts Schlimmes getan haben, wegen unbedeutender Vergehen verhaftet und belästigt. Auch ich werde, wenn ich ein bisschen draußen herumlaufe, sofort von der Polizei verfolgt. Wenn ich mich um eine Stelle bemühe, werde ich eingeschüchtert und diskriminiert. Manche Leute, die die Aum-Einrichtungen verlassen haben, finden nicht einmal eine Wohnung. Die Medien berichten vollkommen einseitig. Nach solchen Erfahrungen ist es doch kein Wunder, wenn wir kein Vertrauen in die Gesellschaft mehr setzen können.
    Man sagt uns, wir würden akzeptiert, wenn wir von unserem Glauben ablassen, aber die Leute, die die Gelübde abgelegt haben, haben das reinen Herzens getan oder sind in gewisser Weise emotional

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