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Untergrundkrieg

Titel: Untergrundkrieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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einzutragen. Aber dann wollten sie sich doch zuerst mit uns unterhalten. Wir wurden ins Innere geführt, wo wir mit dem Meister des Dojo sprachen. Als er uns fragte, warum wir eintreten wollten, und wir alle drei antworteten: »Um Erleuchtung und Befreiung zu erlangen«, war er ziemlich erstaunt. Anscheinend geben viele Leute an, sie wollten im Beruf Erfolg haben oder übersinnliche Kräfte erwerben.
    Der Meister sprach mit uns lange über verschiedene Dinge, aber damals empfand ich vor allem die starke Atmosphäre von Ruhe und Frieden, die im Dojo herrschte. Noch am selben Tag meldeten wir drei uns an. Wir mussten die Aufnahmegebühr und sechs Monatsbeiträge bezahlen, also 30.000 Yen [300 Euro] pro Person. Das weiß ich noch, weil ich nicht genug dabei hatte und mir etwas von meinen Brüdern leihen musste.
    Murakami: Haben Ihre Eltern gar nichts gesagt, als Sie alle drei bei Aum Shinrikyo eintraten?
    Doch, aber damals war Aum noch ziemlich unbekannt. Außerdem sagten wir ihnen vorsichtshalber, es sei eine Art von Yoga-Schule. Erst später, als es Aufsehen gab, hatten sie alle möglichen Einwände.
    Nach unserem Eintritt falteten wir eine Zeit lang Flugblätter. Dadurch sammelt man Verdienste. Wir warfen die Flugblätter in Briefkästen oder verteilten sie auf der Straße. Sonntags besuchten wir oft andere Ortsgruppen und erledigten diese Aufgaben mit denen gemeinsam. Mir machte das großen Spaß. Und ich hatte anschließend immer das Gefühl, etwas geleistet zu haben. Ich weiß nicht warum, aber ich wurde viel fröhlicher. Durch diese Aktivitäten erwarb ich Verdienste, und Verdienste steigern die Energie, auf eine höhere Stufe zu gelangen. So wird das bei Aum erklärt.
    Ich schloss auch Freundschaften. Eine Freundin aus der Mittelschule wurde ebenfalls Mitglied, und wir verteilten zusammen Flugblätter. Nein, ich habe sie nicht angeworben, ich habe ihr nur von Aum erzählt, und sie hat gesagt: »Ach, da trete ich auch ein.«
    Nach meinem Beitritt fuhr ich mit meinen asketischen Übungen fort und erlebte ziemlich bald Darduri Siddhi. Das ist die Stufe vor der Levitation. Der Körper fängt an, von allein in die Luft zu hüpfen. Es passierte ganz plötzlich, als ich zu Hause Atemübungen machte. Zuerst hatte ich gar nicht gemerkt, dass ich in die Luft hopste, aber nach einer Weile konnte ich es ganz gut kontrollieren.
    Am Anfang bin ich darüber fast erschrocken. Ich hüpfte in die Luft und dachte, was ist denn jetzt los? Meine Familie war auch ziemlich verdutzt, als sie mich sahen. Mir wurde gesagt, ich hätte diesen Zustand ungewöhnlich schnell erreicht. Vielleicht hing es damit zusammen, dass ich von Kindheit an eine spirituelle Veranlagung habe.
    Eine Weile ging ich noch normal zur Schule und beteiligte mich gleichzeitig an den Aktivitäten von Aum. Aber allmählich fand ich die Schule immer sinnloser und fing an, sie richtig zu hassen. Alles stürzte mich in Konflikte. Zum Beispiel zogen meine Mitschüler ständig über die Lehrer her, aber bei Aum hatte ich gelernt, dass man nicht schlecht über andere redet. Es ekelte mich an. Oberschüler scheinen an nichts anderes zu denken als an ihren Spaß. Bei Aum hieß es aber, wir sollten nicht nur unserem Vergnügen nachjagen. Auch hier das glatte Gegenteil. Natürlich passte das nicht zusammen.
    Außerdem kann man wirklich schneller zur Erleuchtung gelangen, wenn man, statt zu Hause zu praktizieren, entsagt und sich ganz den Übungen widmet. Ich konnte an nichts anderes mehr denken. Der Wunsch, mich zu verändern, die Gelübde abzulegen, wurde immer stärker in mir.
    Als ich diesen Wunsch bei Aum äußerte, antworteten sie: »Wenn du es dir so sehr wünschst, kannst du der Welt ruhig entsagen und zu uns kommen.«
    Murakami: Entsagung bedeutet, auf alle Bindungen zu verzichten. Gab es etwas, von dem Sie sich nur schwer lösen konnten?
    Natürlich geriet ich in einen Konflikt, als ich die Gelübde ablegte. Bis dahin hatte ich bei meiner Familie gelebt, und nun konnte ich sie nicht mehr so ohne weiteres sehen. Das war das Schwerste für mich. Und ein bisschen vermisste ich auch das Essen. Als Nonne darf man nur noch bestimmte Speisen zu sich nehmen. Aber so schwer war das nun auch wieder nicht.
    Mein ältester Bruder hatte sein Studium aufgegeben, um Aum-Mönch zu werden. »Du kannst doch nach dem Examen immer noch Mönch werden«, versuchten meine Eltern ihn zu überreden, aber er blieb fest. Mein anderer Bruder hatte nicht den Wunsch, der Welt zu entsagen.
    Meine

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