Untergrundkrieg
von der Höhe ihrer Spenden ab. Mich hatte man ohne große Erklärungen dazu aufgefordert, an diesem Seminar teilzunehmen, das Hunderttausende von Yen kostete. Ich musste meine gesamten Ersparnisse dafür plündern. Mittlerweile geriet meine Betätigung bei Aum auch mit meinem Alltagsleben in Konflikt. Im Büro machte ich mich unbeliebt, weil ich mir, um an dem Seminar teilnehmen zu können, unerwartet und mit einer fadenscheinigen Ausrede frei nehmen musste.
Als ich nach Ishigakijima kam, dachte ich zuerst: »Was soll denn das?« Man wurde nur herumkommandiert. Aber dann wurde mir bewusst, dass das Leben dadurch viel einfacher wird. Man muss über nichts mehr nachdenken. Es genügt, das zu tun, was einem gesagt wird. Beispielsweise gemeinsame Atemübungen am Strand.
Es herrschte das unausgesprochene Einverständnis, dass alle Teilnehmer die Gelübde ablegen würden. Also auch ich. Das heißt, man muss von zu Hause ausziehen, seine Stelle kündigen und sein ganzes Geld spenden. Mit zwanzig hätte ich das bestimmt nicht getan, aber nun war ich fünfundzwanzig und hatte das weltliche Leben satt.
Murakami: Hat die besondere Umgebung von Ishigakijima Ihre Entscheidung beeinflusst?
Vielleicht ein bisschen, aber nicht maßgeblich. Es war sowieso nur eine Frage der Zeit, bis ich Nonne geworden wäre. Ich tendierte schon in diese Richtung. Nicht mehr selbst denken und entscheiden zu müssen war das wichtigste Motiv. Alles anderen überlassen zu können. Nur Anweisungen auszuführen. Anweisungen, die von Herrn Asahara kamen, der ja erleuchtet war, und bei denen ich mir also sicher sein konnte, dass sie gut durchdacht waren.
Übrigens war ich nie besonders begeistert von der Lehre und hatte auch nicht das Gefühl, den Stein der Weisen entdeckt zu haben. Es war wirklich nur die Erleichterung, alle Bindungen und Wünsche hinter mir lassen zu können. Weg damit, und dein Leben wird leichter, dachte ich. Emotionale Bindungen an die Eltern, der Wunsch, modisch gekleidet zu sein, Neid und Hass auf andere und so weiter.
Leider musste ich feststellen, dass es bei Aum letztlich auch nicht anders zuging als in der normalen Gesellschaft. Zum Beispiel wurde über jemanden gesagt: »Von Soundso geht starker Hass aus.« Bösartigen Klatsch und Verleumdungen gab es wie überall. Nur die Sprache war eine andere.
Jedenfalls kündigte ich im Büro. Es war gar nicht so einfach. Ich log ihnen etwas von einem Studium im Ausland vor und blieb unerbittlich, als man versuchte, mich von der Kündigung abzuhalten. Das tat mir leid, aber ich konnte doch nicht ehrlich sagen, was ich vorhatte.
Meine Mutter hatte noch nie etwas von Aum gehört. Sie sieht nie Talkshows und so was. Als ich ihr erklärte, dass ich die Gelübde ablegen würde und wir uns nicht mehr sehen könnten, weinte sie ein bisschen. Sie hatte keine Ahnung und wunderte sich nur, dass meine Gesundheit und mein Appetit sich auf einmal so gebessert hatten. »Vielleicht wirst du allmählich flügge, und ich muss loslassen«, sagte sie.
Murakami: Anscheinend wusste sie wirklich nicht, worum es ging (lacht) . Wie fanden Sie Ihr Leben als Nonne?
Manche sehnten sich nach ihren Eltern oder hatten Heimweh, das war bei mir nicht so. Andererseits fand ich es nicht besonders sensationell, aber auch nicht übel.
Ich kam nach Naminomura bei Aso und arbeitete in der Hauswirtschaftsabteilung. Ich kochte und kümmerte mich um die Wäsche. Dort bin ich auch Herrn Asahara zum ersten Mal begegnet. Er rief mich ganz plötzlich zu sich. Ich wunderte mich zwar ein bisschen, folgte ihm aber in einen Fertigbau, wo wir uns etwa zwanzig Minuten lang allein unterhielten.
Es war wirklich verblüffend. Alles was er über mich sagte, traf haargenau zu. Zum Beispiel sagte er: »In deinem weltlichen Leben hast du dieses und jenes getan« oder »Du hast dich zu sehr deinen Vergnügungen hingegeben und damit deine Verdienste aufgebraucht.« Solche Sachen. Später sagte er einmal: »Du bist mit vielen Männern ausgegangen.« Jedenfalls stimmte alles. Andere haben mir gesagt, es sei etwas Besonderes, so direkt mit ihm zu sprechen, aber ich fand es irgendwie normal.
Murakami: Aber es ist doch möglich, dass er sich diese Informationen über Sie und Ihr Leben vorher besorgt hat.
Das weiß ich natürlich. Dennoch war er der Vollkommen Erleuchtete, und ich war stark beeindruckt. Zuerst verspürte ich sogar so etwas wie Angst. Diesen Mann kann man nicht belügen, dachte ich. Das meiste von dem, was wir geredet haben,
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