Untergrundkrieg
Fuji. Herrn Asaharas Verhaftung stand bevor, und es gab kaum noch etwas zu tun. So hatte ich es eigentlich ganz bequem.
Murakami: Zu dieser Zeit wurde der Sarin-Anschlag verübt. Wussten oder glaubten Sie, dass Aum etwas damit zu tun hatte?
Nein. Ich hielt das Ganze für einen Vorwand der Polizei, mehr Daten über die Mitglieder zu beschlagnahmen. Ich hatte zwar schreckliche Erlebnisse gehabt, aber ich war noch nicht völlig von Aum enttäuscht. Allerdings fragte ich mich, was wohl Herrn Murai so verwandelt hatte. Irgendetwas konnte nicht stimmen.
Ich verließ Kamikuishiki, weil es dort drunter und drüber ging. Die meisten Erleuchteten Meister waren inzwischen verhaftet worden, und die noch verbliebenen gaben völlig willkürliche Anordnungen. »Mir reicht’s«, dachte ich und beschloss, endgültig zu gehen. Ohne Herrn Asahara löste sich sowieso alles auf. Niemand versuchte mich aufzuhalten.
Murakami: Waren Sie nicht verunsichert, als Sie so abrupt ins weltliche Leben zurückkehrten? Hatten Sie Angst, dass Sie den Anforderungen nicht gewachsen sein würden?
Nein, daran dachte ich eigentlich weniger. Ich wusste, dass ich es irgendwie schaffen würde. Als Erstes ging ich zu meiner Mutter und blieb dort ungefähr einen Monat. Sie hatte sich natürlich große Sorgen um mich gemacht. »Es kam jeden Tag im Fernsehen«, sagte sie. »Ich bin vor Angst um dich fast gestorben.« Als ich die ersten Berichte über den Sarin-Anschlag sah, forderte ich alle auf, ihnen keinen Glauben zu schenken. Aber als die Täter schließlich aussagten, musste ich mir eingestehen, dass Aum wohl tatsächlich die Schuld für den Anschlag trug.
Nach etwa einem Monat beschloss ich, mir eine Arbeit suchen. Meine Mutter hatte wegen mir Schwierigkeiten mit meinem neuen Stiefvater, und das wollte ich nicht. Sie gab mir 100.000 Yen [1000 Euro], damit ich über die Runden käme; ich zog aus und fand einen Job als Zimmermädchen in einem Hotel in einem Kurbad. Ich hatte mich gefragt, wie ich das Geld für die Maklergebühren, die Kaution und was man sonst für eine Wohnung braucht, aufbringen sollte und war auf die Idee gekommen, in einem Hotel in einem Thermalbad zu arbeiten, wo ich Kost und Logis bekommen würde.
Als ich mich bewarb, behielt ich natürlich für mich, dass ich Aum-Mitglied gewesen war, und wurde auch wirklich eingestellt. Aber bald tauchte jemand von der Sicherheitspolizei auf, und alles kam raus. Meine Chefin versprach zwar, es keinem zu sagen und mich weiterarbeiten zu lassen, aber es war mir trotzdem alles sehr unangenehm. Sieben Monate habe ich in dem Hotel gearbeitet. Die Bezahlung war nicht besonders – 200.000 Yen im Monat –, aber man bekam recht gute Trinkgelder. Unentwegt rackerte ich mich ab, um mehr Trinkgeld zu bekommen. Einmal kriegte ich an einem Tag dreimal etwas vom gleichen Gast. Oft gab es ein Trinkgeld, wenn die Gäste kamen, und noch eins, wenn sie wieder abreisten. Ich sparte, machte den Führerschein und kaufte mir einen Wagen.
Murakami: Das klingt sehr zuversichtlich und tatkräftig.
Was blieb mir denn anderes übrig? Im Nachhinein finde ich, dass ich als Zimmermädchen ganz gute Arbeit geleistet habe.
Im Augenblick arbeite ich in einem Kosmetiksalon. Auch dort hat mich die Polizei schon aufgesucht, darüber habe ich mich damals ziemlich geärgert. Schließlich habe ich das Gedächtnis verloren. Deshalb hatte ich lange Zeit das Gefühl, selbst ein Opfer zu sein. Im Ernst. Aber mittlerweile bin ich der Ansicht, dass ich vielleicht doch eher zu den Schuldigen gehöre, und statt die Beamten so schroff zu behandeln, bemühe ich mich lieber, ihnen alles zu sagen, was ich weiß.
Gesundheitlich ist mit mir alles in Ordnung. Appetit habe ich auch. Nur mein Gedächtnis kommt nicht zurück. Mit Aum-Leuten habe ich nichts mehr zu tun. Ich habe auch keine Sehnsucht nach ihnen oder der Zeit, die ich bei Aum verbracht habe.
Murakami: Sie waren eng befreundet mit einigen der Erleuchteten Meister. Halten Sie es für möglich, dass sie in den Gasanschlag verwickelt waren?
Sie haben es wahrscheinlich auf Befehl getan. Besonders bei Herrn Niimi bin ich mir fast sicher. Mit Herrn Hirose [Ken’ichi] habe ich auch ab und zu gesprochen, er ist ein sehr einfacher Mensch. Was soll ich sagen, ich empfinde Mitgefühl für sie. Es herrschte dort keine Atmosphäre, in der man einfach sagen konnte »ich mag nicht«, wenn man einen Befehl erhielt.
Murakami: Bei der Verhandlung haben mehrere Angeklagte ausgesagt, sie
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