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Untergrundkrieg

Titel: Untergrundkrieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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Haar hoch und deutet auf ihren Hals, wo eine Reihe weißer Narben zurückgeblieben sind. ) Bis zu meiner Versetzung in die Tontechnik kann ich mich an alles erinnern, danach klafft eine Lücke. Ich weiß nicht, wann und warum mein Gedächtnis ausgelöscht wurde. Ich habe herumgefragt, aber niemand wollte mir etwas sagen. »Anscheinend wurde es zwischen dir und einer gewissen Person gefährlich«, war alles, was ich herausbekommen konnte. Aber weil ich mich an so etwas nicht erinnern konnte, bohrte ich weiter. »Der Vorfall ist gelöscht worden, deshalb können wir dir auch nicht mehr sagen«, bekam ich zur Antwort.
    Murakami: Zwischen diesem Jemand, von dem die Leute sprachen, und Ihnen war aber doch nichts vorgefallen.
    Nicht, dass ich wüsste. Es gab da zwar jemanden, den ich sehr mochte und der deshalb auch von Herrn Asahara verwarnt worden war, aber das war ein ganz anderer als der, von dem die Leute sprachen. Wieso ausgerechnet der, frage ich mich jetzt noch immer wieder.
    Herr Asahara war sehr erpicht darauf, über etwaige Beziehungen zwischen männlichen und weiblichen Mitgliedern informiert zu sein und ihnen gegebenenfalls ein rasches Ende zu bereiten. Mich hat er auch angerufen und nach verbotenen Beziehungen zu einem Herrn Soundso gefragt. Er tat, als wisse er Bescheid, aber ich hatte wirklich nichts mit diesem Mann. »Wie bitte?«, sagte ich. »Natürlich nicht.« Darauf sagte er: »Aha? Ich verstehe«, und legte auf. Es war ganz schön seltsam.
    Jedenfalls wurde mein Gedächtnis ausgelöscht, und als ich wieder zu mir kam, hatte das Jahr, in dem der Gasanschlag verübt wurde [1995], schon begonnen. Ich war 1993 in die Abteilung für Tontechnik gekommen, und die ganzen zwei Jahre danach sind in meinem Gedächtnis ein vollkommen weißer Fleck. Nur einmal habe ich mich schlagartig daran erinnert, in einem von Aum geführten Supermarkt in Kyoto gearbeitet zu haben; sonst weiß ich nichts mehr. Ich sah plötzlich vor mir, wie ich im Sommer in einem T-Shirt Nudelpäckchen mit Preisschildern versehe. Auf einem Regal neben mir stehen Waschmittelpackungen. Es war unheimlich. Sonst habe ich keine Ahnung, wo ich war und was ich gemacht habe.
    Aufgewacht bin ich in einem »versiegelten Raum« in Kamikuishiki. Eigentlich wurden die versiegelten Räume von den Meistern für ihre Übungen benutzt, aber in meinem Fall diente er wohl eher als Gefängnis. Diese Kammer war nicht einmal eine Tatami groß, das Fenster war zu, in der Tür gab es nicht den winzigsten Spalt. Glücklicherweise war es Winter, im Sommer wäre die Hitze unerträglich gewesen. Das Zimmer war von außen verschlossen. Ich durfte es nur verlassen, um auf die Toilette oder unter die Dusche zu gehen.
    Eine Frau, die nach mir die Gelübde abgelegt hatte, war für meine Bewachung zuständig. Die fragte ich: »Was ist los? Ich weiß überhaupt nicht, was hier vorgeht.« Aber sie sagte mir nichts. Als ich einmal einer Meisterin begegnete, die ich kannte, und sie nach dem Grund meiner Gefangenschaft fragte, antwortete sie: »Du trägst am Karma der Unwissenheit, denn tierisches Karma ist bei dir zum Vorschein gekommen.« Ich wusste genau, dass das eine Lüge war. Das Karma der Unwissenheit! Dass ich nicht lache.
    Mein Koffer stand auf der Treppe, und ich holte gerade etwas heraus, als Herr Murai zufällig vorbeikam. Er äußerte sich verwundert, dass ich immer noch dort war, und ich erzählte ihm von meiner Ratlosigkeit. Er sagte mir seine Zimmernummer und wies meine Wächterin an, am Abend meine Tür unverschlossen zu lassen, damit ich ihn aufsuchen konnte. Dann wollte er alles mit mir bereden. Aber die Wächterin erklärte, es sei mir verboten, mich mit jemandem zu treffen.
    Also unternahm ich bei einem Gang zur Toilette einen Fluchtversuch, um zu Herrn Murai zu kommen. Aber meine Betreuerin erwischte mich, und es kam zu einem Handgemenge, bei dem mein T-Shirt zerriss. Es war schrecklich. Ich war überzeugt, es wäre mein Ende, wenn sie mich jetzt wieder zurückbrächte, und ich schrie, so laut ich konnte. Darauf kamen alle in den Flur gestürzt, auch Herr Murai. »Also gut, komm rein«, sagte er.
    Früher war Herr Murai ein ganz reizender Mann gewesen, aber nun hatte er sich völlig verändert. Er behandelte mich sehr kühl und befahl mir, mich gefälligst zusammenzureißen.
    Zu dieser Zeit gab es schon Hausdurchsuchungen, und es wäre ein zu großes Risiko gewesen, Leute einzusperren. Also wurde ich zu Satyam 6 gebracht und von dort in die Zentrale am

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