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Untergrundkrieg

Titel: Untergrundkrieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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habe ich sowieso vergessen.
    Das Leben in Aso war sehr hart. Es war so kalt, und die anderen Leute dort waren ziemlich schräge Typen, wirklich unangenehm. Nicht nur ein bisschen komisch, sondern regelrecht egozentrisch. Ihnen fehlte es an gesundem Menschenverstand, und jeder dachte nur an sich selbst. Es gab ein paar, die aus der gleichen Ortsgruppe stammten wie ich und relativ normal waren, an die hielt ich mich. Einmal fragte ich sogar Herrn Asahara, ob er nicht auch der Meinung sei, dass übermäßig viele komische Gestalten bei uns lebten. »Nein, ganz bestimmt nicht«, sagte er darauf.
    Im Gegensatz dazu fand ich die Leute in den Führungspositionen gar nicht seltsam. Die meisten waren mir sogar äußerst sympathisch. Mit den Meistern, mit denen ich befreundet war, konnte ich sehr offene und ernsthafte Gespräche führen. Es mag Leute geben, denen es nicht passt, wenn ich das sage, aber für mich waren Eriko Iida, Tomomitsu Niimi und Hideo Murai gute Menschen. Von ihren Untergebenen waren viele so schräg, dass ich nichts mit ihnen anfangen konnte.
    Von Aso ging ich nach Tokyo zurück und arbeitete im Büro der Aum-Zentrale. Damals fing es an, dass Herr Asahara mich fast jeden Tag anrief. Er erkundigte sich nach meinem Befinden und ermunterte mich, in den Arbeitspausen meine Übungen zu machen. Nichts Außergewöhnliches. Aber mit ihm über diese Dinge zu sprechen, machte mich schon froh. Schließlich rief er ja auch nicht jeden an. Manche sagten, der Grund dafür müssten Verdienste in einem meiner früheren Leben sein. Aber hin und wieder hörten die Anrufe unvermittelt auf. Das machte mich jedes Mal sehr unruhig und traurig, sodass ich mich unentwegt fragte, warum er mich nicht anrief. Ich kann das jetzt gar nicht mehr nachvollziehen, aber damals empfand ich es so.
    Herr Asahara wollte unbedingt mit mir schlafen. Das war am Fuji, als ich in der Abteilung für Tontechnik arbeitete. Wir maßen mit einer Maschine soundso viele Meter Tonband ab und schnitten seine Predigten um. Ich hatte Herrn Asahara angerufen und ihn um einen ruhigeren Posten gebeten, bei dem ich zumindest eine Hälfte des Tages meinen Übungen widmen konnte. Im Büro in Tokyo war es so hektisch, dass man von Glück sagen konnte, wenn man drei Stunden Schlaf am Tag abkriegte.
    Glücklicherweise ging die Sache so aus, dass ich nicht mit ihm schlafen musste. Herr Asahara bestellte mich auf sein Zimmer. Schon zwei- oder dreimal hatte er anzügliche Bemerkungen gemacht – mich angerufen und gefragt, wann meine letzte Periode gewesen sei. Ich war ganz verdutzt und hatte dann wirklich überlegt. Er sagte, ich solle bald eine besondere Initiation erhalten. Darauf sprach ich mit einer der älteren Meisterinnen darüber, mit der ich befreundet war, und sie erklärte mir, dass dies in Wirklichkeit besagte, ich müsse Sex mit ihm haben.
    Herr Asahara bedrängte mich also, aber ich erstarrte jedes Mal, wenn er mich nur anfasste. So ( zieht die Schultern ein und versteift ihren Körper ). Er kann nicht gut sehen, aber er nimmt die Atmosphäre intuitiv wahr. Er muss gespürt haben, wie ich jedes Mal erstarrte, wenn er mich berührte. Schließlich gab er es auf, und ich war sehr erleichtert.
    Für die meisten Anhängerinnen bedeutete es allerdings ein großes Glück, sexuelle Beziehungen zu ihm zu haben. Sie waren sogar dankbar dafür.
    Murakami: Aber bei Ihnen war das nicht so?
    Nein, der Gedanke war mir direkt zuwider. Natürlich achtete ich Herrn Asahara als meinen Guru. Im Gespräch konnte er ganz plötzlich eine Kehrtwendung von 180 Grad machen, was viele sehr anziehend fanden. Außerdem war er sehr wortgewandt. Aber das hatte für mich alles nichts mit Sex zu tun. Ich konnte mir gut vorstellen, dass diese Art von »Initiationen« stattfanden, aber der Gedanke, dass Herr Asahara an so etwas beteiligt war, ekelte mich an. Wie soll ich sagen … es passte nicht in das Bild, das ich von ihm hatte.
    Murakami: Aber bestimmt wussten doch die Oberen von Aum von Asaharas sexuellen Beziehungen zu weiblichen Samana.
    Eine ältere Meisterin erzählte mir, dass Frau Iida und Frau Ishii mit ihm geschlafen hätten und sie selbst auch. Weder verurteilte noch beneidete ich sie – ich war nur erstaunt über die unermessliche Tiefe des Tantra.
    Murakami: Hatte Ihre Weigerung, eine körperliche Beziehung mit Asahara zu haben, Konsequenzen?
    Ich weiß nicht. Danach habe ich das Gedächtnis verloren. Ich bekam Elektroschocks. Ich habe immer noch die Narben. ( Hebt ihr

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