Untergrundkrieg
einfach, Angehörige des Bahnpersonals zu Gesprächen zu bewegen. Zugleich wollen sie aber auch nicht, dass der Anschlag in Vergessenheit gerät, und damit ihre verstorbenen Kollegen. Ich möchte Herrn Nishimura meinen tiefen Dank für seinen wichtigen Beitrag zu diesem Buch aussprechen.
Unsere Arbeit ist in zwei Schichten – die normale Tageschicht und die 24-Stunden-Schicht – eingeteilt. Die 24-Stunden-Schicht geht von acht Uhr morgens bis zum nächsten Morgen um acht. Natürlich müssen wir nicht die ganze Zeit wach bleiben, sondern schlafen zwischendurch in einem Ruheraum. Anschließend haben wir einen Tag frei und danach kommt wieder die Tagesschicht. So hat jede Woche zwei 24-Stunden-Schichten und zwei freie Tage.
Bei der 24-Stunden-Schicht kann man meist morgens nicht einfach gehen, denn zwischen 8.00 und 9.30 ist die Spitzenverkehrszeit, und wir müssen meist Überstunden machen. Meine 24-Stunden-Schicht war am Morgen des 20. März zu Ende, aber ich hatte noch »Bereitschaftsdienst«. In diese Zeit fiel der Anschlag.
Der 20. März lag zwischen zwei Feiertagen, aber trotzdem waren es genauso viele Fahrgäste wie sonst auch im Berufsverkehr. Nach Kasumigaseki werden die Marunouchi-Züge in Richtung Ogikubo ziemlich schnell leerer. Von Ikebukuro bis Kasumigaseki steigen dauernd eine Menge Leute zu, aber danach wird nur noch ausgestiegen.
Während der Bereitschaft muss ich die Arbeit der Kollegen überwachen, aufpassen, dass alles reibungslos läuft, dass der Schichtwechsel ordnungsgemäß vonstatten geht, dass es zu keinen Verspätungen kommt und so weiter.
Der fragliche A777 kam von Ikebukuro und fuhr in Richtung Ogikubo. Er kam pünktlich um 8.26 in Nakano-Sakaue an. Als er hielt, rief ein Fahrgast aus einem der vorderen Wagen nach der Stationsaufsicht: »Kommen Sie schnell! Hier geht es jemandem nicht gut!«
Da ich etwa fünfzig Meter entfernt auf dem Bahnsteig stand, konnte ich nicht richtig verstehen, was er sagte, aber irgendetwas schien passiert zu sein. Also rannte ich hin. Auch wenn etwas Außergewöhnliches passiert, kann die andere Aufsicht nicht einfach über die Gleise springen. Deshalb bin ich hingegangen. Ich betrat den dritten Wagen von vorn durch die hinterste der drei Türen und sah einen etwa fünfundsechzigjährigen Mann am Boden liegen. Ihm gegenüber war eine fünfzigjährige Frau von der Sitzbank gerutscht. Beide keuchten, schnappten nach Luft, und blutiger rosa Schaum stand auf ihren Lippen. Auf den ersten Blick schien der Mann bewusstlos zu sein. Mein erster Gedanke war: »Herrje, ein Liebesdoppelselbstmord.« Natürlich völliger Unsinn, aber das kam mir eben als Erstes in den Kopf. Der Mann ist später gestorben, und die Frau ist, soweit ich weiß, schwerstbehindert.
Die beiden waren die einzigen Fahrgäste in diesem Wagen. Sonst war niemand da. Nur der Mann auf dem Boden und die Frau gegenüber, und zwei Plastikbeutel neben der Tür. Ich hatte sie beim Betreten des Waggons sofort entdeckt. Die Beutel waren etwa dreißig Zentimeter im Quadrat und enthielten eine Flüssigkeit. Einer war noch prall gefüllt, der andere schon ausgelaufen. Die klebrige, stinkende Flüssigkeit rann über den Boden.
Der Geruch, der davon ausging, ist schwer zu beschreiben. Zuerst habe ich immer gesagt, wie Farbverdünner, aber eigentlich roch es eher verbrannt. Ich bin so oft gefragt worden, aber ich kann ihn nicht beschreiben. Es stank eben.
Inzwischen waren noch andere Beamte hinzugekommen, und wir trugen den Mann aus dem Zug. Wir hatten nur eine Bahre, also trugen wir zuerst den Mann raus und dann die Frau auf unseren verschränkten Armen. Wir legten sie auf den Bahnsteig. Weder der Fahrer noch der Schaffner des Zuges hatten etwas von dem Vorfall bemerkt.
Dann gaben wir das Signal zur Weiterfahrt. Man kann einen Zug nicht zu lange halten lassen, und wir hatten keine Zeit, den Boden aufzuwischen. Aber da waren dieser Gestank und der nasse Boden. Also ging ich ins Büro und rief bei der Endhaltestelle Ogikubo an und sagte: »Der dritte Wagen des A 777 muss gereinigt werden. Können Sie sich darum kümmern?« Nun wurde allmählich allen schlecht, die mit dem A 777 zu tun gehabt hatten, den Kollegen und auch den Fahrgästen. Das war ungefähr um 8.40.
Von Nakano-Sakaue bis Ogikubo sind es fünf Stationen. Die Fahrt dauert zwölf Minuten. Der A 777 fuhr anschließend gleich als 877 wieder zurück. Aber die Fahrgäste, die den A 877 in Ogikubo bestiegen, fühlten sich dann auch nicht gut. Als
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