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Untergrundkrieg

Titel: Untergrundkrieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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der Zug in Ogikubo angekommen war, wischte man den Boden – ich glaube, sie wischten sogar noch, als der Zug schon wieder fuhr – und alle, die putzten, wurden krank. Ebenso wie die Fahrgäste, die von Ogikubo nach Shin-Koenji fuhren. Endlich kam die Meldung, dass mit dem Zug etwas nicht stimmte.
    In Ogikubo sind, glaube ich, ziemlich viele Fahrgäste eingestiegen. Die meisten Sitzplätze waren die ganze Zeit besetzt, einige Leute standen. Da wir den Zug nun überprüfen mussten, warteten wir darauf, dass er um 8.53 in Nakano-Sakaue einlief. Aber man zog ihn schon in Shin-Koenji aus dem Verkehr.
    Nachdem wir also die beiden kranken Fahrgäste aus dem Zug getragen hatten, hob ich die beiden Plastikbeutel mit Sarin mit Hilfe einer Zeitung hoch, die ich auf der Gepäckablage fand, und legte sie neben einem Pfeiler auf dem Bahnsteig ab. Es waren viereckige Beutel aus Kunststoff, wie sie für Infusionen im Krankenhaus verwendet werden. Sie enthielten eine Flüssigkeit. Ich trug wie immer bei der Arbeit weiße Nylonhandschuhe und bemühte mich, die nassen Stellen nicht zu berühren. Weil ich dachte, der Mann und die Frau hätten sie irgendwie für ihren Selbstmord benutzt, hielt ich sie für gefährlich und benachrichtigte die Polizei. Ein Kollege holte eine weiße Plastiktüte, wie man sie im Supermarkt bekommt, wir packten das Sarin hinein und knoteten sie oben zu. Mein Kollege brachte sie ins Stationsbüro. Ich wusste nicht, dass er sie in einen Eimer neben der Tür legte.
    Da inzwischen immer mehr Fahrgäste über Übelkeit klagten, versammelten wir sie im Büro. Auch viele Kollegen schienen angegriffen. Polizisten und Feuerwehrleute trafen ein und begannen mit ihrer Befragung, aber nach kurzer Zeit fühlten auch sie sich schlecht. Das war so seltsam, dass wir endlich die Plastiktüte entsorgten. Ich erinnere mich, dass die Polizei sie irgendwohin brachte.
    Als ich zum Telefonieren ins Büro gekommen war, hatte ich nicht darauf geachtet, aber mir lief die Nase, und meine Augen waren gereizt. Mir tat nicht direkt etwas weh, aber ich konnte nicht mehr richtig sehen. Nur wenn ich versuchte, etwas zu fixieren, spürte ich einen Schmerz in den Augen. Bald verschwamm die Beleuchtung und alles andere.
    Gegen 8.55 ging ich ans Waschbecken, um mir das Gesicht zu waschen, und legte mich um 9.00 im Ruheraum hin. Wir erfuhren, dass auch an anderen Orten etwas passiert war. Der Vorfall in der Hibiya-Linie war etwas früher eingetreten. Inzwischen waren alle in Panik und die Fernsehreporter außer Rand und Band.
    Mir ging es inzwischen ziemlich schlecht, und ich verließ den Bahnhof. Krankenwagen rasten um die Kreuzung Nakano-Sakaue herum, um Verletzte einzusammeln und abzutransportieren. Ich fand keinen Krankenwagen, der mich mitnahm, und wurde stattdessen in einem Polizeispezialfahrzeug ins Krankenhaus gebracht, wo ich gegen halb zehn ankam. Sechs Kollegen aus Nakano-Sakaue waren dort. Mich und noch einen anderen behielten sie im Krankenhaus, wo sie bereits im Bilde waren, dass Sarin die Ursache war. So wurde ich dementsprechend behandelt. Meine Augen wurden ausgespült, und ich kam sofort an den Tropf. Ich musste Namen und Adresse in die Aufnahmekartei eintragen, aber wie viele konnte ich wegen meiner Augen nicht richtig schreiben.
    Insgesamt war ich sechs Tage im Krankenhaus. Der 20. März war der schlimmste. Ich war völlig erschöpft, hatte nur die Kleider, die ich am Leib trug, und wurde pausenlos untersucht. Der Cholinesterase-Wert in meinem Blut war ungewöhnlich niedrig. Erst nach drei, vier Monaten, in denen ich ständig Infusionen erhielt, war er wieder einigermaßen normal. So lange erweiterten sich auch meine Pupillen nicht. Ihre Verengung war bei mir hartnäckiger als bei anderen. Bis zu meiner Entlassung blieben sie so.
    Nachdem man meine Frau benachrichtigt hatte, kam sie sofort ins Krankenhaus, aber es ging ja in meinem Fall nicht um Leben und Tod. Ich hatte keine gravierenden Symptome und war auch nicht bewusstlos geworden. Mir lief nur die Nase, und meine Augen brannten.
    Dennoch verbrachte ich eine harte Nacht. Mein ganzer Körper fühlte sich an wie Eis. Ich weiß nicht genau, ob dieses Gefühl Traum oder Wirklichkeit war, jedenfalls war es mir deutlich bewusst. Ich wollte nach der Schwester klingeln, aber ich konnte den Knopf einfach nicht drücken. Ich stöhnte, so schlimm war das. Das passierte zweimal. Ich schreckte hoch, versuchte zu klingeln und scheiterte.
    Wenn man bedenkt, dass ich die Sarin-Beutel

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