Untergrundkrieg
ist in Roppongi. Morgens fahre ich mit dem Bus um sieben zum Bahnhof Gotenno. Dort nehme ich um 7.42 oder 7.47 die Hibiya-Linie in Richtung Naka-Meguro. Die Bahn ist unglaublich voll. Mitunter kommt man nicht mal mit. Trotzdem quetschen sich in Kita-Senju noch mehr Leute rein. Man wird zusammengedrückt wie die Füllung in einem Sandwich. Man befürchtet, sie könnten einen zu Tode quetschen oder einem plötzlich die Hüfte ausrenken. Man kann nur hoffen, dass der Schmerz bald vorübergeht. Völlig verrenkt steht man da, nur noch die Füße sind an ihrem Platz.
Murakami: Das klingt irgendwie nach Profi-Wrestling. Ist es Ihnen nicht zuwider, jeden Tag in einer so vollen Bahn zur Arbeit zu fahren?
Na klar. Jeden Montag denke ich: »Ach, keine Lust, heute gehe ich nicht.« Aber dann setzt sich mein Körper ganz automatisch in Bewegung ( lacht ).
Wenn jeder einen Computer hätte, der mit dem Büro verbunden ist, bräuchte niemand mehr zur Arbeit zu fahren. Schon heute wäre das durchaus unmöglich. Es gibt ja bereits Konferenzschaltungen. Man müsste höchstens einmal in der Woche in die Firma. Wäre das schön!
Am 20. März, dem Tag des Anschlags, hatten die Bahnen wegen Nebel am Tone-Fluss ziemlich Verspätung, und ich verpasste meinen Anschluss. Um 7.50 habe ich endlich eine Bahn gekriegt, die wegen der Verspätungen noch voller war als sonst. Am Freitag hatte ich mir wegen einer fiebrigen Erkältung frei genommen, aber am Samstag habe ich wieder gearbeitet. Ich musste für einen Kunden ein System umstellen. Am Sonntag ließ ich alles sein und schlief den ganzen Tag. Am Montag fühlte ich mich immer noch schlapp und hätte mir gern frei genommen, aber ich hatte meinem Chef schon versprochen, dass ich ins Büro kommen würde.
Am Bahnhof Ueno stiegen ziemlich viele Leute aus, sodass ich endlich ein bisschen Luft bekam. Ich hing irgendwie an einem Haltegriff. Was ich in der Bahn tue? Nichts. Ich bete um einen Sitzplatz ( lacht ). Ab Ueno gucke ich mir die Leute an und überlege, wer wohl bald aussteigt. Wenn man viele Jahre als Pendler fährt, sieht man es den Leuten an, ob sie gleich aussteigen. Auch das ist eine Kunst … Kaum sitze ich, schlafe ich sofort ein. Aber auch aus dem tiefsten Schlaf wache ich eine Haltestelle vor Roppongi – in Kamiyacho – automatisch auf.
An dem Tag hielt die Bahn zwischen Akihabara und Kodemmacho an, und es gab eine Durchsage – etwas über eine Explosion in Tsukiji, und dass der Zug vorerst in Kodemmacho anhalten würde. »Mist«, dachte ich. »Erst der Nebel, dann ein Unfall. Wenn das so weitergeht, komme ich nie an.« Ich war nämlich schon ziemlich spät dran.
Die Bahn hielt nur das eine Mal und fuhr dann nach Kodemmacho weiter. Ich beschloss, im Zug zu warten, weil ich dachte, er würde doch irgendwann weiterfahren. Kurz darauf hieß es aber: »Dieser Zug fährt nicht weiter. Bitte aussteigen.« Was blieb mir anderes übrig? Ich wollte ein Taxi ins Büro nehmen, also ging ich durch die Fahrkartensperre und die Treppe rauf. Plötzlich traute ich meinen Augen nicht. Die Leute fielen um wie die Fliegen. Das war am Ausgang 3.
Ich war im dritten Wagen von hinten gewesen und hatte nicht mitgekriegt, was vorne auf dem Bahnsteig los war. Wie alle andern war ich murrend auf dem Weg nach oben, als vor meiner Nase drei Leute mit Schaum vor dem Mund und zuckenden Gliedmaßen zusammenbrachen. »Was ist denn jetzt?« dachte ich.
Mir am nächsten war ein Mann, dessen Arme und Beine zitterten. Sein ganzer Körper zuckte. Schaum stand ihm vor dem Mund, und er schien Krämpfe zu haben. Ich starrte hin. Es war so schlimm, dass ich ihm helfen musste und ihn ansprach: »Was ist los?« Jemand anders sagte, man könne es nicht wissen, aber vielleicht sei es gefährlich, das mit dem Schaum, es sei besser, ihm Zeitungspapier in den Mund zu stopfen. Also versuchten wir zu zweit dem Mann zu helfen. Danach stolperten alle möglichen kranken Leute von der Fahrkartensperre herauf und brachen zusammen. Ich hatte natürlich keine Ahnung, was passiert war. Auch ein paar von den Leuten, die sich hingesetzt hatten, kippten einfach um.
Es war eine seltsame Szene. Am Ende des nächsten Gebäudes lag ein alter Mann, wirklich ein sehr alter Mann, der nicht mehr atmete und dessen Puls nicht mehr zu fühlen war. Er war einfach umgefallen und rührte sich nicht mehr. »Hat jemand einen Krankenwagen gerufen?« fragte ich einen Mann neben mir. »Ja, aber es kommt keiner«, war die Antwort. Dann sagte jemand:
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