Untergrundkrieg
Krankenhaus, dann starb sie plötzlich zwei Tage später. Sie war nicht einmal operiert worden. Ihr Tod kam so schrecklich unerwartet, niemand hatte damit gerechnet. Wir dachten, sie hätte bloß Asthma.
Dann kam mein Bruder bei einem Unfall ums Leben. Meine Eltern waren tot, er war tot, und ich hatte das Gefühl, ich wäre jeden Augenblick als Nächster an der Reihe. Drei Jahre lang war jedes Jahr ein Familienmitglied von mir gestorben. Ich war mir fast sicher, dass es im nächsten Jahr mich treffen würde.
In dieser Zeit schlief ich immerzu, über zwölf Stunden am Stück. Wenn man so viel schläft, wird der Schlaf leicht, und man hat eine Menge komischer Träume.
Irgendwann tauchte jemand von einer dieser neuen Religionen bei mir auf. So einer, der die Leute anwirbt. »Dieses Unglück wird sich wiederholen«, sagte er. »Sie sollten von nun an Ihrem Schicksal eine andere Wendung geben. Wäre es nicht besser für Sie, wenn Sie einen Glauben hätten?« Schon deshalb habe ich einen absoluten Widerwillen gegen Religionen.
»Wenn wir weiter auf den Rettungswagen warten, sind wir verloren«
Naoyuki Ogata (28)
Herr Ogata führt Service-Arbeiten an Computersoftware durch. Viele der Opfer, die ich für dieses Buch interviewt habe, arbeiten in der Computerbranche. Herr Ogata meint, aus irgendeinem Grund befänden sich sehr viele Computerfirmen an der Hibiya-Linie. Vielleicht ein Zufall.
Es heißt, Menschen, die in der Computerindustrie tätig sind, hätten folgende hervorstechende Merkmale: Erstens seien sie enorm beschäftigt und zweitens würden sie häufig den Arbeitsplatz wechseln. Herr Ogata hingegen ist seit dem Studium bei der gleichen Firma beschäftigt. Das ist in der heutigen Arbeitswelt eine Seltenheit, und seine Freunde sind davon sehr beeindruckt. Dennoch hat er nicht weniger Stress als andere. Natürlich habe ich auch noch nie von einem Angestellten gehört, dass er viel Freizeit habe.
Übrigens machten die Leute, die in der Computerbranche arbeiten, auf mich niemals den Eindruck von Strebern. Herr Ogata ist ein liebenswürdiger junger Mann und ein intelligenter Gesprächspartner. Als wir das Interview machten, war er gerade dreißig geworden, aber er sieht so jung aus, dass man ihn noch einen Jungen nennen kann. Er ist ein geselliger Mensch mit positiver Ausstrahlung.
Wahrscheinlich waren es gerade diese Eigenschaften, die ihn dazu brachten, sich so lange auf dem Bahnhof Kodemmacho aufzuhalten, um den Verletzten zu helfen, und folglich selbst Sarin einzuatmen, bis es ihm fast so schlecht ging wie vielen von denen, die er gerettet hat. Die Verletzten hatten ewig auf die ärztlichen Notdienste warten müssen, und auch die Polizei war keine große Hilfe. Herr Ogata ist den Einsatzkräften gegenüber, die sich der Krise so wenig gewachsen zeigten, noch immer sehr kritisch eingestellt.
Ich bin in Adachi geboren und habe immer dort gelebt. Adachi gehört zwar zu Tokyo, liegt aber schon fast in Saitama. Wir wohnen zu viert zusammen – mein Vater, meine Mutter, meine jüngere Schwester und ich. Meine andere Schwester ist schon verheiratet und ausgezogen. Ich arbeite sehr viel und trage Verantwortung, das reibt mich auf. Ich habe mich schon bei meinem Vorgesetzten beschwert, aber er hört gar nicht hin. In Spitzenzeiten arbeite ich regelmäßig zwölf, dreizehn Stunden am Tag. Die Überstunden, die ich mache, darf ich auch nicht alle aufschreiben, sonst meckert mein Chef. Aber ohne Überstunden würde ich nie fertig. Die Lage ist ausweglos.
Dass wir so viel zu tun haben, liegt wohl an der großen Konkurrenz. Wenn ich in letzter Zeit zu geschäftlichen Verhandlungen gehe, sind andere Firmen auch schon da. Man muss unheimlich auf Draht sein.
Am Wochenende schlafe ich mich meist aus oder besuche Freunde in der Nachbarschaft. Außerdem habe ich zu Hause zwei Computer, an denen ich arbeite. Ganz recht, an meinen freien Tagen. Natürlich habe ich keine Lust dazu, aber wenn ich es nicht mache, wird die Arbeit nie fertig ( lacht ). Meine Eltern haben mich schon aufgegeben. Sie sagen immer: »Es reicht doch wirklich, was du im Büro machst«, und: »Du bist der Einzige, der so viel arbeitet.« Aber ich muss es tun.
In der Computerbranche geht es mit einem bergab, wenn man über dreißig ist. Es kommen so schnell neue Systeme raus, dass man es gar nicht in den Kopf kriegt. Die Besten in unserer Firma sind etwa zweiundzwanzig, dreiundzwanzig. In diesem Alter wechseln die Leute sehr häufig die Stelle.
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