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Unterholz: Alpenkrimi (German Edition)

Unterholz: Alpenkrimi (German Edition)

Titel: Unterholz: Alpenkrimi (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Maurer
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ihren Blick über die tobenden Kinder schweifen. Unwillkürlich wippte sie auf den Zehen, als ob sie ein Dreimeterbrett in Schwingung bringen wollte. Diesen bärtigen Michl, den hatte sie droben auf der Alm ein- oder zweimal aus dem Busch lugen sehen. Aber was konnte der schon wissen? Der war doch völlig unfähig, sich etwas zu merken! Die paar Minuten, die sie gebraucht hatte, Marlene Schultheiss zu töten, war sie allein auf weiter Flur gewesen. Was hätte er also sehen können? Nein, nein, das konnte nicht sein. Der war doch höchstwahrscheinlich das Ergebnis jahrhundertelanger Inzucht in diesem Talkessel. Oder war er gar nicht so dumm? Das wäre ja die allergrößte Lachnummer: Ihr perfektes Meisterwerk, ihre Abschlussarbeit, die sie in ein zweites Leben katapultierte – zu Fall gebracht durch einen triefäugigen Tölpel!
    »Das kann ich mir schon vorstellen«, sagte gerade eine Stimme aus dem Volke im Radio, »dass der Michl sich auf der Alm, wo er aufgewachsen ist, herumgetrieben hat.«
    »Ja freilich«, pflichtete eine andere Stimme bei. »Der Michl, der hat sich nur dumm gestellt. Damit er nicht arbeiten muss. So kann man es auch machen.«

    Der Schrecken traf sie unerwartet. Dieser Michl war wirklich ein Risiko. Dieser Michl musste weg. Sie brauchte ihren Plan nur ein klein wenig zu modifizieren. Sie wippte auf den Zehen. Sie konnte sich genau daran erinnern, wo der Penner mit dem Zimmermannsbleistift aus dem Busch gelinst hatte. Er trieb sich an ganz bestimmten Stellen herum, dort musste sie hin. Die Hubschrauberaktion konnte sie auch später noch durchführen. Sie würde bei der Suche nach dem Michl mithelfen, und sie war überzeugt davon, dass sie die Erste sein würde, die ihn fand. So einfach war das. Sie hielt mit dem leichten Wippen inne. Sie bereitete sich auf den Sprung vor. Sie stellte die Flasche Mineralwasser auf die Theke und lenkte ihre Schritte zielgerichtet zu einer ganz bestimmten Umkleidekabine des Kainzenbads. Eine feine Sache war das schon, so eine altertümliche Holzumkleidekabine eines öffentlichen Freibades. Sie hatte die geräumige Kammer seit drei Tagen als Basislager und Requisitenfundus genutzt. Sie betrat die Kabine Nummer 99 und sperrte von innen zu. Sie löste ein Brett aus der Verschalung und holte Wanderkleidung aus dem Versteck. Einen Rucksack, festes Schuhwerk, unauffälliges Gewand. Die Badesachen verstaute sie hinter der Holzverkleidung. Nach ein paar Minuten war sie fertig. Sie war hineingegangen als Badegast und trat heraus als eine wohlgelaunte Spaziergängerin. Sie verließ das Schwimmbad. Nach einigen hundert Metern auf dem Weg zur Alm gab es sogar noch ein Zuckerl, eine kleine Aussöhnung mit dem wechselhaften Schicksal. Der Schrottplatz vom alten Heilinger lag einsam und verlassen da. Der Heilinger persönlich saß vor dem Kontor und schlief seinen Rausch aus. Sonst war niemand zu sehen. Sie klapperte die Container ab: Plastikmüll, Sperrmüll, Gartenabfälle. Und endlich fand sie, was sie gesucht hatte. Einen Container mit Elektroschrott. Sie zertrümmerte sicherheitshalber die Festplatte. Sie goss etwas Säure aus einer kaputten Autobatterie darüber. Dann legte sie ihren rauchenden digitalen Begleiter zu den Fernsehern und Computern. Perfekt.

    Im Zimmer 23 der Pension Üblhör (zweiter Stock, beste Aussicht auf die Berge) herrschte Hochbetrieb. Hier genügte es nicht, sich eine Wanderjacke überzuwerfen, hier wurde geschminkt, gefärbt und gezupft, hier wurden falsche Ohren angeklebt und Nasen vergrößert. Swoboda setzte Dilip Advani gerade Kontaktlinsen ein. Junge, tatendurstige Gesichter verwandelten sich gerade in greisenhafte, weltabgewandte Antlitze. Swoboda war in seinem Element. Das war der schönste Teil seiner Arbeit als Problemlöser. Die Verwandlung.
    »Ich erkläre euch derweil, was ich vorhabe. Um die Ecke steht ein Wagen mit dem Firmenlogo Seniorenbetreuung Prohaska , darauf bin ich besonders stolz. Wir sind gebrechliche Alte, die heute Abend noch im Krankenhaus Bad Tölz erwartet werden.«
    »Was ist, wenn jemand von der Polizei dort anruft und nachfragt, ob das stimmt?«, fragte Pratap Prakash, mehr aus Interesse an der Vorgehensweise als aus Besorgnis. Swoboda war in der Szene bekannt. Man konnte sich hundertprozentig auf ihn verlassen.
    »Wir haben einen Mann dort sitzen«, sagte der Österreicher.
    »Und Raj Narajan soll fahren?«
    »Natürlich, wer sonst! Er als ehemaliger Chauffeur des Bürgermeisters von Mumbai sitzt am Steuer, und

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