Unterholz: Alpenkrimi (German Edition)
Eine Sicherungsbeschattung in freier Natur war schon mit vier Leuten schwierig genug. Er winkte Maria zu sich.
»Bleiben Sie bitte hier«, flüsterte er ihr zu. »Befragen Sie die beiden nach dem genauen Fundort, nach der Fundzeit, nach diesen SOS-Zeichen und so weiter. Schicken Sie Becker zur Prattinger-Wiese. Und kommen Sie so schnell wie möglich nach.«
Stengele hatte die Anweisungen Jennerweins mitbekommen. Er wandte sich an das ehemalige Bestattungsunternehmerehepaar. Er schlug seinen coolsten Allgäuer Ton an.
»Frau Schmalfuß wird zu Protokoll nehmen, was Sie zu sagen haben.«
»Die Frau Schmalfuß ist aber keine Polizeibeamtin«, sagte Ursel trotzig. »Wir wollen den Jennerwein sprechen.«
Ludwig Stengele erhob die Stimme.
»Der ist aber nicht da, verdammt nochmal. Sie müssen schon mit Frau Schmalfuß vorliebnehmen. Und jetzt machen Sie Platz, sonst werde ich ungemütlich.«
Alle sprangen ins Auto. Der Motor heulte auf, der Wagen schoss aus dem Parkplatz.
»Das hat man nun davon«, rief Ursel, »wenn man der Polizei helfen will.«
»Kommen Sie bitte mit«, sagte Maria betont freundlich.
Die Graseggers folgten Maria Schmalfuß widerwillig ins Gebäude. Leider hatten sie nicht mehr als fünf Minuten freigeschaufelt. Sie hofften, dass das für Swoboda reichte. Sie sandten eine SMS an den Österreicher.
Zur gleichen Zeit ging ein uralter Mann die Schröttelkopfstraße entlang. Er setzte Schritt vor Schritt, stützte sich auf seinen Rollator und machte alle paar Schritte Rast. Er war alt, sehr alt, vielleicht so dreihundertfünfzig Jahre alt, er hatte die Türken noch vor Wien gesehen – und nur ein guter Schauspiellehrer hätte vielleicht bemerkt, dass der alte Mann es mit dem Geriatrischsein vielleicht doch etwas übertrieb. So alt war kein Alter. Aber für gewöhnliche Passanten genügte es voll und ganz, was Karl Swoboda an Schauspielkunst darbot. Der Österreicher an und für sich chargiert nun einmal gerne, man sieht es täglich im Burgtheater. Swoboda schob einen Rollator mit zwei großen Taschen an der Seite, und den hievte der alte Mann nun mühsam und asthmatisch schnaufend über den Randstein. Gerade hatte er eine SMS empfangen. Die beiden Pompfineberer hatten nur fünf Minuten herausgeschunden. Sakra! Er musste sich beeilen, zur Pension zu kommen.
»Meine Herren, wir haben nicht viel Zeit«, sagte Swoboda wenig später im Zimmer 23.
Swoboda hatte die Graseggers um das Zeitfenster gebeten, nur für den Fall, dass jemand beobachtete, wenn er mit den Indern und dem Tunesier das Haus verließ, und daraufhin die Polizei rief. Nur sicherheitshalber. Swoboda hatte schon ein paar Kleidungsstücke aus der Seitentasche des Rollators gezogen.
»Zieht euch das an«, sagte er. »Ich bin von euren Chefs angewiesen worden, euch aus diesem Kurort zu holen. Wo ist denn der Tunesier?«
»Der macht seine Übungen.«
Pratap Prakash zog den Vorhang zurück. Chokri Gammoudi lag entspannt auf einer Pritsche.
»Was sind denn das wieder für Gschpompanadln?«, fragte Swoboda.
»Gschpompanadln?«, fragte Pratap Prakash. »Ach, du meinst seine Übungen mit dem Tennisball! Es muss irgendetwas Meditatives sein.«
»Seht dort die Arme, wie sie kräftig schwellen!«, schillerte Dilip Advani nach. »Der Edelmann weiß sich zu wehren der Gefahr!«
Der stumme Raj Narajan schrieb etwas auf einen Zettel.
53
Deutschlands Unterholz
Die Äbtissin schlenderte mit ihrer bunten Badetasche über die Liegewiese. Sie verlangsamte ihre Schritte, als sie an der Imbissbude vorbeikam. Einen Hotdog? Ein Eis? Sie entschied sich für eine Flasche Mineralwasser. Im Radio liefen die Lokalnachrichten des örtlichen Senders weiter. Zuerst das Übliche: Kommissar Jennerwein ratlos, die Polizei hilflos. Dann aber das Überraschende: Ein gewisser Michl Wolzmüller, der letzte Spross der Wolzmüller-Dynastie, ein randständiger Dorfdepp und liebenswerter Clochard, hätte auf der Todesalm etwas gesehen, wodurch sich der Mörder identifizieren ließe. Vielleicht hätte er den Mörder sogar gezeichnet. Allerdings wäre der Michl gerade irgendwo in den Bergwäldern des Kurorts verschwunden, und das gerade jetzt, wo man seine Auskunft so dringend bräuchte.
»Hallo, Michl!«, sagte die Sprecherin. »Wenn du diese Nachricht hörst, melde dich! Und wenn jemand von Ihnen, liebe Zuhörer, den ortsbekannten Sonderling sieht, dann soll er sich ebenfalls melden. Sofort.«
Die Äbtissin nahm einen tiefen Schluck aus der Flasche. Sie ließ
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