Unterholz: Alpenkrimi (German Edition)
ich erkläre ihm den Weg raus aus dem Talkessel. Euer stummer Freund gibt einen guten indischen Hilfspfleger ab.«
Alle nickten.
»Chokri, dich setze ich an der österreichischen Grenze ab, du wartest dort, bis ich dich wieder abhole. Und ihr drei müsst nach Köln?«
»Ja, wir haben dort einen schwierigen Auftrag. Eigentlich würden wir aber gerne nochmals hierherkommen.«
»Wie bitte? Spinnt ihr? Das ist viel zu gefährlich!«
Pratap Prakash hob beschwichtigend die Hand.
»Bedenke doch: Niemand kennt uns, niemand sucht uns. Die Polizei weiß nichts von unserer Existenz. Wir wollen zurückkehren, um noch ein paar Tage die Bräuche der Einheimischen zu studieren.«
»Wie ihr meint«, sagte Swoboda. »Was ihr nach eurem Auftrag macht, ist eure Sache. Aber unterschätzt mir bloß den Jennerwein nicht!«
»Dieser glücklose Scherge? Des’ Herz so groß und dessen zaghaft Hand so schwach mir scheint?«, hub Dilip Adavani an. »Der bisher nichts, aber auch rein gar nichts erreicht hat? Auch er wird unsere Identität nicht knacken.«
Swoboda wusste, dass sie zumindest in einem Punkt recht hatten: Niemand kannte sie. Nach ihnen wurde nicht gesucht. Sie standen auf keiner Liste. Oder etwa doch?
»Gut, wie ihr meint. Das ist nun wirklich nicht mein Problem.«
»Du bist der Problemlöser, Swoboda. Was der große Beschädiger, der zwanzigarmige Dämon Rakshasa, durcheinanderbringt, das musst du entwirren. Führe uns aus dieser Hölle, Österreicher! Und dann lass uns weiter walten nach unserem Gutdünken.«
»Gut, wenn alle fertig sind, dann gehen wir. Halt, ich muss noch jemanden anrufen!«
Er wählte eine Nummer. Sein Gesprächspartner schien nicht begeistert zu sein.
»Was ist denn jetzt schon wieder? Wir sind nicht mehr im Geschäft, Herrgott nochmal!«
»Eine letzte Bitte noch, Ignaz. Für dich ist es gar kein Risiko.«
»Dann red.«
»Hast du noch ein Schachterl von den Knöcherlputzern?«
»Was willst du denn damit?«
»Brauchst auch gar nicht aus dem Haus zu gehen. Ich hol sie ab. Neue Geschäftsidee.«
Droben in luftiger Höhe, weit, weit droben auf einem Seitenzug des kalkigen Wettersteingebirges wand sich ein verschlungener Hochweg, das sah aus, als wäre ein weißer Teller mit ein paar Linien sirupdickem Balsamico dekoriert worden. Auf dem Hochweg waren drei schweißnasse, erschöpfte Gestalten zu erkennen. Der Zivildienstleistende schritt voran, die beiden medizinischen Bergsteiger trotteten hinterher. Ab und zu blieben sie stehen und hoben das Fernglas, es war immer noch das gute alte Grenzschützer-Ungetüm. Sie suchten den Borreliose-Patienten, von dem war allerdings weit und breit nichts zu sehen.
»Wie wenn er sich in Luft aufgelöst hätte!«, sagte die Internistin zum zehnten Mal.
»Er ist abgestürzt«, sagte der Neurologe zum hundertsten Mal.
»Der stürzt nicht ab«, erwiderte der Zivi geduldig. »Glauben Sie mir. Was einmal eintrainiert ist, das ist eintrainiert. Das müssten Sie als Arzt eigentlich wissen. Es gab Pianisten, die haben bei hochgradiger Demenz noch Konzerte gegeben. Sie wussten nicht, was und wie, sie mussten auf die Bühne geführt und ans Klavier gesetzt werden, aber wie der langsame Satz von Beethovens Klaviersonate Nr. 26 zu spielen ist, das hatten sie noch in den Fingern.«
»Du meinst also, er treibt sich hier irgendwo herum?«
»Das denke ich schon. Er hat es noch drauf, das Bergsteigen. In seinem bisherigen Leben ist er auf jedem Gipfel hier gewesen. Und jetzt durchwandert er nochmals alles.«
Der fliegende Holländer. Hier in den Alpen. Die Bergsteiger schüttelte ein Angstschwall nach dem anderen. Lauerte der Patient irgendwo hinter einem Felsvorsprung?
»Keine Angst«, sagte der Zivi. »Der erkennt niemanden mehr.«
»Zu dumm, dass wir das Handy verloren haben«, sagte die Internistin.
Polizeiobermeister Ostler hatte das Warten langsam satt.
»Du, Michl!«
Keine Antwort. Gestrichel. Kratzen auf Papier.
»Ich will einmal hinunter in deinen Keller gehen. Nur so interessehalber. Ich will sehen, ob da unten alles in Ordnung ist. Du musst aber mitgehen. Allein lasse ich dich nicht heroben.«
»Was soll da unten nicht in Ordnung sein?«
Irgendwann erhob sich der Michl. Beide stiegen eine Treppe hinunter. Der Michl schloss die Kellertüre auf, er schaltete das Funzellicht an. Ostler erschauderte. Vor allen Wänden standen Regale, die mit Papierstößen vollgepfropft waren. Früher hatte der Michl seine Arbeiten noch geordnet, doch Tausende hatte er
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