Unterholz: Alpenkrimi (German Edition)
rotkarierten Hemden und Kniebundhosen bekleidet. Mit ihren prall gefüllten Rucksäcken glichen sie den typischen Wandertouristen. Sie sollten Jennerwein, der momentan wie ein urbayrischer Rasputin aussah, in einigem Abstand folgen.
»Eine Frage hätte ich noch«, sagte Stengele. »Kann man die Jungs von Feuerwehr, THW und Bergwacht anweisen, ab jetzt nach einer Frau zu suchen?«
»Nein, das ist noch zu früh«, sagte Jennerwein. »Das spräche sich herum und gelangt dann vielleicht über irgendwelche komischen Kanäle zu unserer Zielperson.«
»Verstehe, Chef.«
»Sind alle bereit? Ich darf Sie nochmals darauf hinweisen, dass wir es mit einer äußerst gefährlichen Person zu tun haben. Es ist höchste Vorsicht geboten.«
Sie verließen nun das Polizeirevier und gingen zielstrebig auf ein unauffälliges Auto zu, das im Hinterhof des Polizeireviers parkte.
Zur selben Zeit saßen Polizeiobermeister Ostler und der echte Wolzmüller Michl am runden Holztisch von dessen Wohnküche. Sie hatten lange geschwiegen.
»Darf ich einmal einen Blick in deinen Keller werfen, Michl?«, fragte Ostler vorsichtig.
Der Michl Wolzmüller verzog das Gesicht zu einer minimalen, kaum deutbaren Grimasse. War das ein Ja? Ostler würde die Frage später nochmals stellen. Er fühlte sich sicher in Michls Haus. Die Äbtissin würde hier wohl kaum angreifen, das wäre einfach viel zu riskant. Und wenn doch? Er blickte in regelmäßigen Abständen aus dem Fenster, die Auffahrt war übersichtlich und leer. Niemand konnte sich dem Anwesen nähern, ohne von Ostler gesehen zu werden. Trotzdem. Er hatte eine Alarmschnur um das ganze Häuschen verlegt. Wenn jemand sie überschritt, dann leuchtete ein Lämpchen auf, das er immer im Blick hatte. Und schließlich fühlte sich Ostler auch deswegen sicher, weil er einmal zweiter oberbayrischer Meister im Kleinkaliberschießen gewesen war. Er war immer noch ein hervorragender Schütze. Er befühlte seine Dienstpistole. Die Schmach, an einen Mähdrescher gefesselt worden zu sein, saß ihm noch tief in den Knochen. Ein zweites Mal würde er sich nicht übertölpeln lassen.
»Aber sag einmal, Michl, kannst du die Frau, die du im Ort gesehen hast, nicht einmal zeichnen?«
Der Michl stierte mit trüben Augen vor sich hin. Dann griff er ans rechte Ohr, nahm den Zimmermannsbleistift in die Faust und betrachtete ihn seufzend.
»Stumpf«, sagte er.
Ohne den Blick vom Bleistift zu lassen, griff er in das Stichmessertascherl seiner Lederhose und holte ein rostiges Etwas heraus. Er spitzte den Bleistift lange und umständlich.
»Es wird schwer«, sagte er.
»Warum?«
»Ich habe sie nur ganz kurz gesehen.«
»Hast du das Gesicht erkannt?«
»Ja. Für einen Moment.«
»Was hast du noch erkannt?«
»Den Gang. Das Gstell . Die Haltung. Ist auch wichtiger.«
»Ich habe immer gedacht, das Gesicht wäre das Wichtigste.«
»Das kann man verändern. Haare, Augen, Backen, Zähne. Alles kann man verändern. Aber wie einer dasteht, wie einer weggeht, das kann man nicht verstellen. Aber zeichnen kann man es.«
Er umfasste den Stift mit der ganzen Faust und ließ ihn auf dem Blatt tanzen. Er machte mehrere Versuche, er kritzelte Blätter voll, zerriss sie wieder und warf sie auf den Boden. Er legte die Arme auf den Tisch und verbarg den Kopf darin. Ostler glaubte schon, er wolle aufgeben. Aber der Michl konzentrierte sich nur. Ruckartig fuhr er wieder hoch. Er knallte ein frisches Blatt auf den Tisch, er spitzte den Stift nochmals an. Und mit ein paar wenigen Schwüngen entwarf er die sensationell lebendige Zeichnung einer Frau, die vom Betrachter wegzulaufen schien und sich dabei umblickt. Es war mehr eine Comicfigur als eine naturalistische Darstellung. Es war eigentlich überhaupt keine Darstellung, die auf Echtheit abzielte. Wenn man genau hinsah, stimmten die Körperproportionen überhaupt nicht. Der Schulterbereich war im Verhältnis zum ganzen Körper größer gezeichnet. Aber man verstand sofort, auf was der Michl hinauswollte. Sie war sportlich, gut durchtrainiert, hatte aber mit dem Sport vielleicht deshalb angefangen, weil sie einen Haltungsfehler hatte. Der Michl hatte die eingezogenen Schultern hingezeichnet, aber auch das Bemühen, sie nach hinten zu drücken. Er hatte sie als Sprungfeder gezeichnet.
»Das ist also die Frau?«, fragte Ostler.
Keine Antwort. Dann: kurzes Nicken.
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Item wer ein Moler will werden, der muß van Natür dorzu geschick sein. Item aus welchem ein großer
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