Unterholz: Alpenkrimi (German Edition)
verlieren. So gingen sie im Abstand von hundert Metern nebeneinanderher, manchmal riss der Sichtkontakt auch ab. Doch sie waren ein eingespieltes Team, das schon einige Beschattungen und Verfolgungen im schroffen Gebirge und hügeligen Vorgebirge hinter sich hatte. Sie kannten das Gelände, die Auftragskillerin nicht. Jennerwein hatte massiv darauf gedrängt, schnell und zügig loszugehen. Die Radionachrichten waren gesendet, das Internet quoll über von Suchaufrufen nach dem falschen Michl, und die Hilfstruppen am Rande des Kurorts taten ihr Übriges, die Geschichte zu verbreiten. Jennerwein war sich sicher: Wenn ein Angriffsversuch auf den Wolzmüller-Erben stattfand, dann in allernächster Zeit. Jede Art von Funkverkehr verbot sich aus naheliegenden Gründen von selbst, darum hatte Nicole Schwattke eine Orientierungs-App auf ihr Handy geladen.
»Ich schicke in regelmäßigen Abständen eine Silent SMS an das Handy des Chefs, damit kann ich seine genaue Position ausmachen«, hatte sie gesagt. Stengele hatte mürrisch zugestimmt.
»Von mir aus.«
Aber jetzt legte der Allgäuer einen Finger an den Mund und deutete nach hinten, in Richtung des Weges, den sie schon zurückgelegt hatten. Alle drehten sich blitzartig um, kauerten sich auf den Boden und zückten ihre Ferngläser. Eine erdfarbene Figur kämpfte sich durchs Gebüsch. Es war eine Frau, das konnte man am Gang erkennen. Es war eine schlanke, hochgewachsene Frau, die da näher kam, ohne sie zu bemerken. Hölleisen, der am nächsten lag, gab Entwarnung. Gott sei Dank, es war nur Maria Schmalfuß, die jetzt eilig näher kam. Sie winkte. Sie war völlig außer Atem.
»Haben Sie Hubertus im Blick?«, fragte sie besorgt. »Haben Sie Tuchfühlung mit ihm?«
»Er hat gerade eine Nachricht geschickt«, sagte Stengele leise und beruhigend. »Er ist o.k. Glauben Sie mir: Es verläuft alles nach Plan.«
»Wollen Sie sich nicht kurz hinsetzen, Frau Schmalfuß?«, fragte Hölleisen.
»Nein, nein, es geht schon. Ich bin nur etwas außer Atem. Ich bin die ganze Strecke gelaufen.«
»Ging denn mit den Graseggers alles glatt?«
»Das schon, aber mir kam es so vor, als ob die einfach nur Zeit schinden wollten. Ich bin mir nicht sicher, ob sie nicht doch mit der Sache hier zu tun haben. Vielleicht wollten sie der Äbtissin den Rücken frei halten.«
»Wir hätte sie doch einsperren sollen«, knurrte Stengele. »Aber wir müssen jetzt weiter. Wir bilden eine Linie. Hundert Meter Abstand. Maria und Nicole, Sie gehen innen, versuchen Sie immer Blickkontakt miteinander zu halten. Hölleisen und ich bilden die Flanken.«
»Oh Mann, da stimmt etwas nicht«, sagte Nicole plötzlich aufgeregt. Sie deutete auf ihr Handy. »Der Chef ist von der Route abgewichen. Es scheint, dass er wieder zurückgegangen ist. Er befindet sich jedenfalls nicht auf der Route, die wir vereinbart haben.«
»Bewegt er sich?«
»Nein, das Signal kommt von einer einzigen Stelle.«
»Wo ist er genau?«
»Nur fünfzehnhundert Meter von hier.« Sie blickte auf das Display und deutete in eine Richtung. »Hier lang.«
Sie verzichteten auf die hundert Meter Abstand, sie rannten los. Als sie näher kamen, zogen sie die Waffen. Sie kamen sehr nah. Sie waren ganz dicht dran.
»Dort liegt es«, flüsterte Hölleisen.
Das Handy lag blitzend und funkelnd mitten auf der Wiese. Weit und breit keine Spur von Jennerwein.
»Jemand hat es hierhergeworfen und uns in die Irre geführt«, sagte Stengele wutschnaubend. »Von wegen Silent Smooth oder so ein Dreck.«
»Vorwürfe helfen jetzt nicht weiter«, beruhigte Maria. »Hier ist Gefahr im Verzug.«
»Was machen wir jetzt?«, fragte Hölleisen unsicher.
»Wir gehen die Wegstrecke ab, die ich ausgearbeitet habe«, sagte Stengele entschlossen und steckte das Handy ein. »Verlassen Sie sich auf mein Gefühl. So was gibts nämlich auch.«
Die Äbtissin war ein wenig enttäuscht. Sie hatte sich einen gleichwertigeren Gegner erwartet. In dem Moment, in dem sich die Schlinge um den Hals dieses bemantelten Waldschrats gezogen hatte, wusste sie, dass das nicht der Wolzmüller Michl war, sondern der leitende Ermittler persönlich! Kriminalhauptkommissar Hubertus Jennerwein. Die Lockvogel-Masche! Ein Bauerntrick, aber wie nachlässig ausgeführt! Er lag bewusstlos zu ihren Füßen. Das wurde ja langsam zu einer Gewohnheit. Innerhalb von wenigen Sekunden fixierte sie ihn mit der guten alten Schweinefessel am dicksten Ast des Ahorns. Dann erkundete sie die Umgebung, um
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