Unterholz: Alpenkrimi (German Edition)
chirurgischen Notaufnahme innerhalb von wenigen Tagen ein Fitnesstrainer und eine Ernährungsberaterin eingeliefert worden, ein ganzheitlicher Körpertherapeut –«
»Vielleicht Zufall.«
»Vielleicht. Ich habe den Mann jedenfalls bisher noch nicht bei der Polizei gemeldet.«
Der Abstieg von der Kuglerten Resl dauerte eine halbe Stunde, auf einem kleinen vorgelagerten Plateau machten sie nochmals Rast, man hatte diesmal einen einigermaßen guten Blick von unten auf die Wolzmüller-Alm. Wenigstens auf einen Teil des Geländes.
»Wollen wir noch hinübergehen und uns das mal anschauen? Wir wären noch vor Einbruch der Dämmerung dort.«
»Ich habe mächtig Durst. Ich weiß nicht, ob unsereins dort was zu trinken bekommt. Das ist doch bestimmt eine sehr exklusive Gesellschaft.«
Sie entschieden sich deswegen dafür, ins Tal abzusteigen. Ein Mann mit trüben Augen kam ihnen entgegen, er grüßte nur flüchtig mit einem Nicken und drehte sich dann weg. Er hatte einen Zimmermannsbleistift hinter dem Ohr stecken, und aus seinem Rucksack ragte eine Transportrolle, wie sie Maler verwenden, um ihre Skizzenblätter aufzubewahren.
Unten im Kurort kehrten sie in einer Kneipe ein. Sie setzten sich, so rotkariert und verschwitzt, wie sie waren, an den Tresen und stillten ihren Bergsteigerdurst.
»Unglaublich, was man mit dem Einheitsdoppelfernrohr alles sieht«, sagte der Neurologe. Und er sagte es sehr, sehr laut.
»Kann ich mal einen Blick drauf werfen?«, fragte der Barkeeper. »Ist das wirklich eines aus NVA-Beständen?«
»Ja, wir haben von der Kuglerten Resl hinüber auf die Wolzmüller-Alm geschaut, quer über den ganzen Talkessel«, sagte die Internistin. »Wir haben einen gesehen, der einen gelben Tennisball geknetet hat. Stellt euch vor: einen Tennisball! Wenn ich das Fernglas noch schärfer gestellt hätte, hätte ich vielleicht sogar den Markenschriftzug erkennen können.«
Der Barkeeper drehte die Musik leiser, die Gäste hörten gespannt zu. Ein Gast lauschte besonders aufmerksam. Als der Neurologe von der Frau mit dem Riesensombrero erzählte, die schlafend unter einer Zirbe gesessen war, stand der Gast auf und verließ die Kneipe. Kein Mensch beachtete ihn.
»Und wie ich die gesehen habe!«, sagte die Medizinerin.
»Wen?«
»Na, die Frau mit dem Sombrero! Da habe ich mir gedacht: So möchte ich jetzt auch dasitzen!«
Nein, liebe Internistin aus dem hohen Norden, das möchtest du ganz sicher nicht.
9
Unter dem Titel Le sous-bois ist leider kein einziger Film mit Jean Gabin belegt. Hartnäckig hält sich jedoch in Cineastenkreisen das Gerücht, dass es solch einen Film gibt. Gabin soll die Filmrolle mit ins Grab genommen haben.
Internationales Filmlexikon
Es war Mitternacht auf der Wolzmüller-Alm, und die Seminarteilnehmer lagen in ihren Betten: Pierre, der Franzose, der igelköpfige GI-Amerikaner und Wassili, der Russe, alle waren erschöpft von der ungewohnten Feldarbeit und der würzigen Höhenluft. Nur eine kleine Gruppe von Unentwegten diskutierte in der Zirbelstube bei Kerzenschein über die verschiedenen kulturellen Gepflogenheiten, die es auf der Welt gab. Lucio und Fabio, die beiden Italiener, und der namenlose deutsche Rocker schüttelten den Kopf.
»Man hält japanischen Kunden die Hand hin, und sie verneigen sich.«
»Umgekehrt: Man macht in Thailand einen Diener, und alle laufen schreiend davon.«
Alles war ruhig und gut, lediglich einer hier oben war noch aktiv, nämlich der Hüttenwirt und Herbergsvater der Wolzmüller-Alm, Rainer Ganshagel. Er strich draußen in der abschüssigen Umgebung herum und sah nach dem Rechten. Er hatte die Alm vor zwei Jahren gepachtet, er hatte viel Geld und Mühe investiert, den heruntergewirtschafteten Betrieb wieder ins Laufen zu bringen. Von wegen Unstern, der über der Alm schwebte! Diesem Unstern würde er schon zu Leibe rücken! Liebenswerterweise hatte ihn der Bürgermeister persönlich dabei unterstützt. Der Erhalt der alten Bräuche und Sitten wäre das Höchste, hatte er gesagt. Ganshagels Arbeit auf der Alm war eine einfache. Er versorgte die Seminarteilnehmer mit dem Notwendigsten und schirmte sie von der lärmenden und neugierigen Welt da drunten ab. Manchen verirrten Wanderer hatte er schon verjagt, manchem vorwitzigen Journalisten hatte er schon Mistgabel und Sense gezeigt. Das genügte in den meisten Fällen. Ging die Neugier einmal darüber hinaus, was bisher selten vorgekommen war, griffen die Bodyguards der hochrangigen
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