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Unterholz: Alpenkrimi (German Edition)

Unterholz: Alpenkrimi (German Edition)

Titel: Unterholz: Alpenkrimi (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Maurer
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Reaktion. Er lüftete den Rand des Huts, um einen Blick auf das Gesicht der Frau zu werfen und der Bewusstlosen bei Bedarf die Wangen zu tätscheln. Doch was er jetzt sah, ließ ihn entsetzt zurückprallen. Er ließ die Taschenlampe fallen und schlug die Hände vor den Mund. Fast wäre er gestrauchelt und ausgerutscht auf dem abschüssigen, feuchten Boden. Ganshagel rang nach Luft, Übelkeit stieg in ihm auf, er schluckte und japste. Hier gab es keinen Zweifel: Die Frau war tot. Es war gar nicht mehr nötig, den Puls zu fühlen. Zitternd stand Ganshagel da und wagte nicht, sich zu bewegen.

    Erst nach und nach wurde ihm klar, was das bedeutete. Langsam, furchtbar langsam und unaufhaltsam sah er seine Welt zusammenbrechen, sein mühsam aufgebautes Hüttenwirtdasein, seine sichere Existenz, sein Ein und Alles. Eine Tote auf seiner Alm – das würde einen Riesenwirbel auslösen. Und jeder würde wieder an den Unstern erinnert werden, der über der Alm schwebte. Der alte Wolzmüller war damals nach einer wilden Party ebenfalls tot aufgefunden worden. Die Umstände seines Ablebens waren nie ganz geklärt worden. Nun würde die Alm vielleicht sogar ganz geschlossen werden. Das durfte Ganshagel nicht zulassen.

    Ganshagel zückte sein Mobiltelefon. Es gab nur zwei Leute, die jetzt helfen konnten.

10
Mit einem tadellosen Pass und mit einem freundlichen Gesicht kommst du überall auf der Welt durch. Nur im Unterholz reibe dich zusätzlich mit Schlangenfett ein.
Indisches Sprichwort (übersetzt aus dem Malayalam)
    »Was? Mitten in der Nacht?«, knurrte Ignaz Grasegger am anderen Ende der Leitung.
    »Es ist dringend«, sagte Ganshagel.
    Geraschel von Bettzeug, Gegrunze, ein geflüstertes Hin und Her, ein Wer noch so spät? und Wo?
    »Ja, gut, wir kommen. Lass alles so, wie es ist.«
    Zwei Stunden später waren sie da, die Graseggers. Ursel Grasegger, die große knochige Schönheit, der die Jahre nichts hatten anhaben können, hatte wie Ignaz, ihr Gemahl, einen breiten Fünfzigpfünder-Gürtel um den Leib angesetzt. Beide trugen die Speckschwarten wie Königsmäntel, und man wusste sofort: Die lassen sichs schmecken, und sie stehen dazu. Beide kamen gleich zur Sache. Sie sahen sich um am Fundort, sie leuchteten mit der Taschenlampe herum, sie fühlten den Puls. Sie streiften Handschuhe über und betasteten dies und das.
    »Und wie können wir dir jetzt helfen?«, fragte Ursel.
    » Ihr seid die Bestatter. Ich dachte daran, dass ihr sie wegschafft. Ich will keinen Skandal hier.«
    »Wir waren Bestatter.«
    Ignaz nahm einen herumliegenden Zweig, lüpfte damit die Hutkrempe der Dame an und leuchtete ihr mit seiner kleinen Taschenlampe ins Gesicht. Er stand schnell auf.
    »Ja, so was!«, rief er.
    »Schlimm?«, fragte Ursel. Sie beleuchtete das Gesicht der Leiche ebenfalls. Dann fächerte sie sich mit der Hand Luft zu.
    »Durchaus. Die muss schon drei oder vier Tage daliegen.«
    Ganshagel drehte sich weg. Er spürte die Übelkeit aufsteigen, er versuchte, sie in den Griff zu bekommen. Vergeblich.
    »Das ist ganz und gar unmöglich«, sagte er. »Ich bin zwanzigmal hier vorbeigekommen.«
    »Dann schau einmal her, Ganshagel«, sagte Ursel und hob den Hut ebenfalls etwas hoch. »Fortgeschrittener Madenbefall, da brauche ich keinen Kriminalbiologen zu fragen, da bin ich mir sicher, dass es mindestens vier Tage sind. Aber mindestens.«
    »Weißt du, wer sie ist, Ganshagel?«, fragte Ignaz.
    Ganshagel stöhnte. Er musste sich erst von dem schrecklichen Anblick erholen, der für das Ehepaar Grasegger, die ehemaligen Bestatter, anscheinend ganz selbstverständlich war.
    »Ja«, keuchte er. »Hier ist ihr Personalausweis, den hat sie an der Rezeption hinterlassen. Sie hat heute erst eingecheckt, sie kann noch nicht vier Tage da liegen. Außerdem komme ich immer um Mitternacht hier vorbei. Das wäre mir aufgefallen.«
    »Dann ist sie vielleicht hierhergebracht worden?«, sagte Ursel.
    Ignaz leuchtete den Boden rund um die Leiche ab.
    »Glaube ich nicht. Keine Schleifspuren.«
    Er ließ den Blick den Baum hinaufwandern und pfiff durch die Zähne.
    »Von da oben könnten sie hergekommen sein, die Viecherln. Sie bauen ihre Nester in den Bäumen.«
    »Welche Viecherln?«
    » Knöcherlputzer . So heißen sie bei uns. Das sind Aaskäfer mit dem zoologischen Namen Rothalsige Silphe . Wenn du dir sicher sein willst, dass innerhalb von ein paar Tagen nichts mehr von dir da ist außer ein paar Knöcherl, dann legst du dich unter einen Baum, in dem

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