Unterholz: Alpenkrimi (German Edition)
war tot.
8
Unpräzise Lösegeldforderung
Die beiden medizinischen Alpinisten, die in ein paar Kilometern Luftlinie entfernt oben auf der Kuglerten Resl standen, hielten das Fernglas auf die tote Frau unter der Zirbe gerichtet, aus dieser großen Entfernung hatten sie jedoch den Eindruck, als ob sich da eine den Schlapphut ins Gesicht gezogen hätte und schliefe. Vielleicht hätte man mit einem noch besseren Fernglas die ungewöhnliche Handstellung erkennen können, die leichte Verkrampfung der Mittelhand, den beginnenden Rigor mortis, der für eine Schlafende eher untypisch, für eine seit einigen Minuten Tote aber völlig zwingend ist. Sowohl die Internistin wie auch der Neurologe hatten die Hand gesehen, die locker im Gras zu liegen schien, wie in müßiger Beiläufigkeit hingestreckt, wo doch in Wirklichkeit etwas Erschreckendes zu sehen gewesen wäre. Später, als die Mediziner von der Brisanz der Sache erfuhren, versuchten sie sich krampfhaft daran zu erinnern, was genau sie durch das Fernglas gesehen hatten. Vergeblich, sie erinnerten sich an nichts Konkretes, nur an eine vage Feierabendstimmung auf dem Wolzmüller-Anwesen, an herumsitzende Menschen wie zum Beispiel den Nordafrikaner, der den Tennisball knetete; den kleinen Asiaten, der mit seinem Notebook verwachsen schien; die Frau mit der Meckifrisur; den dienstbeflissen herumwieselnden Hüttenwirt Rainer Ganshagel. Sie konnten später sogar ziemlich genau angeben, wann sie mit dem Grenzstreifengucker hinübergeschaut hatten zu den Anlagen der Wolzmüller-Alm, nämlich um sieben Uhr abends – als die Glocken der St.-Martins-Kirche zur Abendmesse gerufen hatten. Sieben Uhr, das war auch der später festgestellte ungefähre Todeszeitpunkt der Frau. Das bedeutete nichts anderes, als dass sie einen Mörder gesehen hatten, ohne zu diesem Zeitpunkt davon zu wissen. So etwas ist ärgerlich. Mehr noch: So etwas ist äußerst unangenehm, wenn dieser Mörder noch frei herumläuft.
So sprachen sie noch über dies und das, zum Beispiel, dass die Kuglerte Resl natürlich offiziell und amtlich irgendwie anders hieß, südliches Dammkopfkofelkar oder so ähnlich, aber der drollige Spitzname hätte sich hartnäckig gehalten. Sie zogen die Verschnürungen der Rucksäcke zu, wechselten noch ein letztes Mal das Einheitsdoppelrohr.
»Siehst du die Gräben, die durch das Anwesen laufen?«
»Ja, sehe ich. Sind das ausgetrocknete Bachläufe? Oder schon die ersten Risse in der europäischen Kontinentalplatte?«
»Das sind Reste von alten Holzriesen. Damit wurden früher die gefällten Bäume zu Tal befördert. Das Werdenfelser Land war ein Land der Holzfäller und Flößer, deshalb sind noch viele dieser Holzriesen erhalten. Es gab auch tollkühne Wettrennen unter den Holzknechten – die damit praktisch den Bobsport vorweggenommen haben.«
»Ja, jetzt sehe ich es auch: Die Rinnen der Holzriesen verzweigen sich.«
»Eine Bahn, die dort oben beginnt, kann genauso unten im Werdenfelser Tal enden wie drüben in Österreich.«
Sie packten das Fernrohr ein und begannen mit dem Abstieg von der Kuglerten Resl. Leise pfiffen die vier Windsburschen ihr melancholisches Lied.
»Wie geht es eigentlich dem Mann, der sich die tödliche Borreliose eingefangen hat?«
»Den Umständen entsprechend gut, ich habe ihm einen Aufenthalt in einem betreuten Pflegeheim empfohlen, er jedoch hat darauf bestanden, die letzten Monate, die er noch klar bei Verstand ist, zu Hause zu verbringen.«
»Ich kann mir schon vorstellen, wie sauer der ist. Sein ganzes Leben hat er darauf geachtet, fit zu sein, Sport zu treiben, sich gesund zu ernähren – und dann so was. Was war denn seine Lieblingsdisziplin? Wahrscheinlich Langstreckenlauf, oder?«
»Nein, Bergsteigen und Kampfsport, so was wie Tameshiwari. Muskelpakete hatte der! Der muss einen ziemlichen Schlag draufgehabt haben. Er hat es mir demonstriert, auf ziemlich eindringliche Weise. Er hat eine ganze Reihe von explosiven Faustschlägen in die Luft geführt – Das ist für den Fitnesstrainer! , hat er dazu geschrien. Das ist für den ganzheitlichen Körpertherapeuten! Für den südkoreanischen Akupunkteur! Die Mittenwalder I-Ging-Meisterin! Und das ist für meine Frau, die mich dreißig Jahre lang mit ihrem Gesundheitstick getriezt hat! Bei der Ehefrau hat er mir ein Regalbrett demoliert.«
»Wenigstens hat er seinen Humor nicht verloren.«
»Ich habe es auch für einen Scherz gehalten. Aber ein paar Wochen später sind bei uns in der
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