Unterholz: Alpenkrimi (German Edition)
ein Nest mit Rothalsigen Silphen hängt.«
Er nahm ein Glasröhrchen für seine Zigarren aus der Tasche, schüttelte die kubanische Romeo y Julieta heraus und praktizierte ein paar der glänzenden Krabbler hinein.
»Die kommen bei uns eigentlich selten vor«, sagte er nachdenklich. »Sie lieben die Kälte, ihr Hauptverbreitungsgebiet ist eher Nordeuropa.«
Ursel hatte den Ausweis mit der kleinen Taschenlampe angeleuchtet.
»Kennst du die Frau, Ignaz?«
»Eine Einheimische ist das nicht.«
Ganshagel schaltete sich ein.
»Das ist eine Seminarteilnehmerin.«
»So wirds wohl sein. Und du willst, dass wir die jetzt wegschaffen?«
»Deshalb habe ich euch gerufen.«
»Was soll das bringen, Ganshagel?«
Ignaz blickte zu Ursel, die ließ ihr Mobiltelefon sinken, mit dem sie die Leiche und den Ausweis vor ein paar Minuten fotografiert hatte. Sie sah ihren Mann ernst und bedeutungsvoll an. Sie schüttelte den Kopf. Ignaz verstand die Botschaft.
»Rainer, wir können dir nicht helfen. In diesem Fall gibt es nur eins: Ruf die Polizei.«
»Die Polizei!«, schrie Ganshagel. »Die Polizei kann ich hier überhaupt nicht brauchen.«
»Wer kann die schon brauchen? Trotzdem ist es eine Schnapsidee, die Leiche wegzuschaffen. Die Spuren führen immer wieder hierher, zu dir zurück. Und damit machst du alles noch schlimmer.«
»Gerade hast du gesagt, es gibt keine Spuren, Ignaz!«
»Schleifspuren nicht. Aber die Viecherl da, die der Frau das Gesicht weggefressen haben. Die führen einen halbwegs guten Spurensucher hierher. Die Tiere kommen bei uns nicht so häufig vor.«
Ignaz betrachtete die rötlich gestreiften Silphen in der Glasröhre. Wie bei dieser Art üblich, lebten Larven und ausgewachsene Käfer zusammen. Ursel beobachtete ihn seufzend. Sie ahnte, was er vorhatte.
»Servus, Ganshagel. Lass alles so, wie es ist, und ruf die Polizei. Soll ich dir die Nummer geben?«
Zu Hause angekommen, setzten sich die Graseggers auf ihre Terrasse. Der Morgen klopfte zaghaft ans Wettersteingebirge, die Dämmerung brach an.
»Bald ist es sechs. Ich finde, wir könnten schon frühstücken.«
»Gute Idee.«
Sie nahmen ein paar Rostbratwürste, Speckscheiben und Eier aus dem Kühlschrank und holten auch noch dies und das aus der Speisekammer. Sie stellten ein nahrhaftes Frühstück auf den Tisch der Terrasse, das für Jesus und die zwölf Jünger gereicht hätte, ohne dass Jesus gezwungen gewesen wäre, eine wundersame Brotvermehrung aus dem Hut zu zaubern.
»Vorhin«, sagte Ignaz, »da hast du das Passbild dieser Frau nach Italien geschickt, nicht wahr?«
Ursel nickte.
»Und was schreiben sie?«
»Finger weg! Hochbrisante Sache.«
»Unsere italienischen Freunde kennen sie also?«
»Ja. Aber über SMS will Padrone Spalanzani nichts weiter darüber mitteilen.«
»Gut, dass wir uns aus dieser Sache rausgehalten haben!«
Ursel nahm die Prepaid-Karte aus dem Telefon und schredderte sie. Dann machte sich das genussfreudige Ehepaar über die Gamsfiletsülze und den Werdenfelser Wurstsalat her. Für die Gemeinde der Urchristen, die gekommen war, um Jesus und die zwölf Jünger zu sehen, hätte es auch noch gereicht.
»Die Wolzmüller-Alm! So was!«, sagte Ursel mit vollem Mund.
»Das war ja auch eine g’spaßige Geschichte mit dem alten Wolzmüller-Bauern. Erinnerst du dich daran, wie wir den eingegraben haben?«
»Natürlich erinnere ich mich! Ungeklärte Todesursache. Trotzdem hat die Staatsanwaltschaft das Begräbnis angeordnet. Sehr merkwürdig.«
»Und dann sein Sohn, der Michl! Noch merkwürdiger.«
Ursel ging zum Kühlschrank und öffnete ihn.
»Jessas, Ignaz! Du hast doch wohl nicht die guten vier Wachteln für deine Experimente hergenommen? Wachtelbrüstchen mit Traubensauce, das war unser Mittagessen!«
Ignaz gluckste draußen auf dem Balkon.
»Sauber abgenagt bis auf die Knochen«, sagte der ehemalige Bestattungsunternehmer und hielt ein weißes Geflügelbrustbein hoch. Darunter wimmelte es von Teeny-Maden und ausgewachsenen Käfern der Rothalsigen Silphe.
»Innerhalb von vier Stunden?«
»Innerhalb von vier Stunden. Das schaffen die so schnell.«
»Die sind ja verfressener als wir. Und was soll es jetzt heute Mittag geben?«
Rainer Ganshagel wiederum hatte ganz andere Probleme. Er wusste, dass er bald die Polizei im Haus hatte.
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Unter Dromophobie (auch Odophobie oder Xylophobie) versteht man die Angst, Waldwege zu begehen. Schon Sigmund Freud beschreibt den Fall des Herrn G., der, kaum führte ein
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