Unterholz: Alpenkrimi (German Edition)
Tennisball. Was war denn das schon wieder für eine Katastrophe!
»Sind sie alle weg?«, flüsterte der Tunesier.
Ganshagel nickte. Das hatte ihm gerade noch gefehlt.
»Ja, Sie sind der letzte Gast. Wollen Sie auschecken?«
»Ich meine, ob die Polizisten alle weg sind!«
»Ach so, freilich. Momentan ist keiner von ihnen im Haus.«
»Wie viele sind es?«
»Fünf, mehr nicht.«
»Wie komme ich an ihnen vorbei?«
Ganshagel deutete zum Hinterausgang.
»Und wie komme ich dann von hier aus zum Krankenhaus?«
»Wieso zum Krankenhaus?«
»Fragen Sie nicht, sagen Sie es mir einfach. Oder, noch besser: Zeichnen Sie mir den Weg dorthin auf.«
»Am schnellsten ginge es natürlich, wenn Sie mitten durch den Ort –«
»Unsinn! Mitten durch den Ort! Hat man Ihnen denn keine unserer Exit-Strategien mitgeteilt? Nein? Egal. Es muss natürlich ein Weg sein, bei dem ich nicht gesehen werde.«
»Also gut, dann eben um den Kurort herum.«
Ganshagel zeichnete ihm den Weg auf ein Blatt Papier. Der Tunesier knetete, Ganshagel blickte auf und schaute aus dem Fenster. Kam da nicht gerade Kommissar Jennerwein wieder zurück? Nein, er hatte sich getäuscht. Der Tunesier bedankte sich und verschwand durch den Hinterausgang. Schließlich hatte der Regen auch ihn verschluckt.
Zur gleichen Zeit saßen der Österreicher und der Russe im Jeep des Hüttenwirts, sie waren schon in Tirol, zwischen Lermoos und Innsbruck, sie fuhren gerade einen kurvigen Waldweg entlang.
»Halt dich fest. Da vorne biege ich ab«, rief der Österreicher.
»Du kennst dich gut aus in der Gegend«, sagte Wassili Wassiljewitsch mit den Schweinsäugelchen, der piepsigen Stimme und dem Bei-den-Oblonskijs-herrschte-Riesenverwirrung-Tattoo auf dem Rücken. »Warst du schon öfter hier?«
»Ja, das kann man so sagen. Es gibt so viele Wege, um vom Werdenfelser Land nach Italien zu kommen. Dieser Weg hier ist der einfachste. Wir fahren runter zur Steiger-Alm, dann folgen wir einem alten Forstweg zum Brenner. Wenn wir Glück haben, sind wir zur Mittagsjause schon in Italien.«
»Deine Ortskenntnis erstaunt mich. Dein Referat fand ich auch sehr gut«, sagte der Russe nach einiger Zeit steilen und rutschigen Fahrens. »Habe viel über DNA und Spurensicherung gelernt. Wir in Smolensk sind da noch nicht so weit. Es mangelt an technischer Ausrüstung, du weißt schon.«
»Ich weiß schon.«
»Aber sag einmal, die Tote, die Äbtissin, die soll ja gerade auf dem Gebiet der DNA und diesen Dingen perfekt gewesen sein, oder?«
»Sie war die Größte«, sagte der Österreicher bewundernd. »Perfekte Planung. Astreines Zeitmanagement. Die war wirklich eiskalt. Nicht billig – aber wie man hört, hat sie alle Zielpersonen ohne einen Husterer ausgeknipst. Und dann natürlich ihr genialer Umgang mit Spuren. Sie hat es geschafft, dass ihre DNA in keiner Kartei dieser Welt auftaucht!«
»Ich frage mich die ganze Zeit, wer sie erledigt hat«, murmelte der Russe nachdenklich. »Und vor allem: warum.«
Swoboda warf Wassili einen schnellen, verstohlenen Blick zu.
»Das frage ich mich auch. Irgendjemand war noch besser als sie. Wahrscheinlich sogar jemand von uns.«
Geschickt wich er einem Reh aus, das plötzlich mitten auf der Fahrbahn aufgetaucht war. Dann sprangen seine Augen wieder unstet von Punkt zu Punkt. Kurz nach Innsbruck nahm er seinen falschen Bart ab.
Es war kalt geworden. Das Ehepaar Grasegger war mitsamt ihren Schüsseln, Tiegelchen und Tellerchen von der Terrasse in die Küche umgezogen. Sie waren (wie die meisten Outlaws) Frühaufsteher, und sie hatten schon oft den Tag mitten in der Nacht begonnen. Ursel leckte den Teller mit der Gamsfiletsülze aus und schüttelte den Kopf.
»Das ist ja wieder eine Gaudi da droben! Dass das nie aufhört mit den kriminellen Vorfällen bei uns im schönen Werdenfelser Landl. Eigentlich sind wir aus Italien wieder hierhergezogen, damit wir unsere Ruhe haben.«
»Die Frau vom General McRae hat das auch gedacht.«
Ignaz spielte auf eine Geschichte an, die sich tatsächlich im Kurort zugetragen hatte. Der amerikanische General Lafayette McRae war von El Paso an der mexikanischen Grenze in den Kurort versetzt worden. In El Paso war die Verbrechensrate enorm, seine Frau hatte keinen Fuß vor die Tür setzen können. Sie war deshalb nie zum Joggen gekommen und hatte in Fort Bliss zehn Kilo zugenommen. Beide waren froh, in den friedlichen Kurort zu kommen. Gleich am ersten Tag war Abigail McRae an der idyllisch dahinfließenden
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