Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Unterholz: Alpenkrimi (German Edition)

Unterholz: Alpenkrimi (German Edition)

Titel: Unterholz: Alpenkrimi (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Maurer
Vom Netzwerk:
Loisach entlanggejoggt, und schon nach wenigen Schritten wurde sie beraubt und erstochen. Soweit zum friedlichen Kurort.
    »Ja, wer weiß«, sagte Ursel, »ob an der Loisach entlang im Unterholz nicht noch mehr Leichen liegen.«

    Das Bestatterehepaar Ursel und Ignaz Grasegger unterhielt sich am Küchentisch weiter über das kriminelle Potential im Werdenfelser Land. Karl Swoboda und Wassili Wassiljewitsch fuhren auf der alten Brenner-Straße auf einen einsamen Parkplatz und schraubten dort neue Nummernschilder an das Fahrzeug. In der fernen Stadt ging jemand auf die Bahnhofstoilette, las den Spruch Suche Auftragskiller und lachte sich kaputt darüber. Die beiden medizinischen Bergsteiger waren an diesem Morgen mit frisch geschnürten Rucksäcken auf dem Weg zur Wettersteinwand. Und Rainer Ganshagel saß auf seinem Wartestuhl, rauchte verbotenerweise eine Zigarette nach der anderen und fürchtete sich vor den bevorstehenden Fragen Kommissar Jennerweins.

14
Da stieg ein Baum. O reine Übersteigung!
O Orpheus singt! O hoher Baum so stolz!
Und alles schwieg.
Doch selbst in der Verschweigung
ging neuer Anfang vor, im Unterholz.
Rainer Maria Rilke, »Sonette an Orpheus«
    Ein grün-weißer Hubschrauber der Bayerischen Polizei mit der seitlichen Aufschrift Gewalt ist keine Lösung zog mächtig in die Höhe, neigte sich, legte sich schließlich ganz quer und verschwand Richtung Norden. Die freistehende kleine Zirbe, an deren Stamm die leblose Frau mit dem Rücken gelehnt war, zitterte noch leicht vom Sogwind der Rotoren. Doch schließlich stand sie wieder ruhig da, als wäre nichts geschehen. Zehn Meter rings um die zerbrechliche Idylle war ein Tatortabsperrband gespannt. Der Regen bohrte sich ungemütlich ins Almgras, der Kriminaltechniker Hansjochen Becker und zwei weitere Kollegen hatten ein improvisiertes Schutzzelt aufgebaut, die Zirbe bildete dabei den Mast. Vom Mond, dem feigen Tatzeugen von gestern, keine Spur.
    »Guten Morgen, Chef! Grüß Sie Gott, Ostler«, rief Becker. »Hereinspaziert! Kommen Sie ins Trockene.«
    »Das ist vielleicht ein Sauwetter«, fluchte Ostler und klopfte sich die nasse Jacke vor dem Zelt aus, ehe er eintrat.
    »Mit der näheren Umgebung sind wir schon fast fertig«, fuhr Becker fort. »Viel war da allerdings nicht mehr zu sichern, der Regen hat vermutlich den größten Teil schon weggewaschen.«

    Jennerwein trat einen Schritt näher. Ostler blickte ihm vorsichtig über die Schultern. Die makabre Hauptattraktion in der luftigen Zirkusmanege war die tote Frau, und sie bot ein bizarres Bild. Der Schlapphut war ihr abgenommen worden. Er steckte in einem großen Plastiksack, der neben ihr lag. Im Bereich des Oberkörpers und den Extremitäten wies sie auf den ersten Blick keine Verletzungen auf, sie lag entspannt da, wenn auch mit leicht verkrampften, unnatürlich nach außen gebogenen Fingern. Jennerwein warf einen Blick auf die Hände. Er konnte keinerlei Abwehrverletzungen erkennen. Die leichte Windjacke war aufgeknöpft, unter dem mittellangen Sommerrock lugten blasse städtische Beine hervor. Nirgends waren größere Blutspuren zu sehen, keine Hieb-, Stich- oder Druckverletzungen, keine unschönen Hämatome, keine verdrehten Glieder oder anderen sichtbaren Folgen physischer Gewalt. Trotzdem bot die Frau den verstörendsten Anblick, den ein menschlicher Körper überhaupt bieten konnte. Ihr Kopf war abgetrennt worden.

    »Ich habe mich aus guten Gründen dazu entschieden, Chef«, sagte Becker. »Eile war geboten. Das Gesicht war übersät mit Maden und Aaskäfern, die sich schon weit ins Fleisch gefressen haben. Eine sinnvolle Untersuchung war nur im gerichtsmedizinischen Labor möglich. Der Kopf musste sofort tiefgekühlt werden, um die Aktivität der Tiere zu stoppen. Ich habe ihn in eine Box gepackt, er ist mit dem Hubschrauber unterwegs in die Pathologie.«
    »Und warum haben Sie nicht den ganzen Körper dorthin gebracht?«, fragte Jennerwein.
    »Die Lage der Leiche, die Druck- und Auflagespuren, die es an der Körperunterseite gibt, eventuelle Schleifspuren rundherum, die zum Körper passen – wir können hier noch viele Dinge herauslesen, Chef. Es schien mir sinnvoller, den Rumpf an Ort und Stelle zu lassen. Mit dem Kopf soll sich die Pathologin beschäftigen, der Hubschrauber müsste bald bei ihr sein.«
    »Schon recht«, sagte Jennerwein und versuchte die leichte Übelkeit, die in ihm aufstieg, zu ignorieren. Er konnte sich auf Becker und seine Schnüffler- und Pinslertruppe

Weitere Kostenlose Bücher