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Unterholz: Alpenkrimi (German Edition)

Unterholz: Alpenkrimi (German Edition)

Titel: Unterholz: Alpenkrimi (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Maurer
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unterschied sich deutlich von den anderen durchtrainierten Gestalten, das musste ein Wissenschaftler oder so etwas Ähnliches sein. Ganshagel hatte Teile von dem Vortrag mitbekommen, weil er ein paar Requisiten für den Wissenschaftler auftreiben musste. Er hatte das Referat aus dem verglasten Technikkämmerchen heraus verfolgt. Zunächst schrieb der Schmächtige das Wort Optographie mit Großbuchstaben an die Tafel.
    »Bitte laufen Sie jetzt nicht gleich schreiend davon!«, begann er. »Vielleicht haben Sie schon mal davon gehört. Ich habe diesen Vortrag schon in New York und Tokio vor diversen Wissenschaftlern gehalten, ich hätte nicht gedacht, dass ich je damit auf der Wolzmüller-Alm lande. Optographie ist, kurz gesagt, die Wissenschaft von der Fixierung des letzten Bildes, das ein Lebewesen vor dem Tod erblickt.«
    Die Seminarteilnehmer saßen in der Tat sehr skeptisch in ihren Bänken. Der Referent erzählte nun einiges aus der Kriminalgeschichte, er schilderte Fälle, in denen die Optographie schon angewandt worden war. Die Angerstein-Morde, die Alexandridis-Experimente. Überführung von Massenmördern, Befreiung von unschuldig Eingekerkerten nach Jahrzehnten.
    »In all diesen Fällen hat man die Augen der Mordopfer seziert und auf der Retina die letzten Bilder sichtbar machen können. Einen richtigen Durchbruch in der Kriminalistik hat es jedoch bisher nicht gegeben. Die neue Methode der Optographie jedoch ist computergestützt und wurde mit einer von mir entwickelten Lasertechnik verfeinert. Ich führe Ihnen das am besten einmal vor. Sie sehen die ganze Zeit schon den Frosch hier im Marmeladenglas, und, Sie ahnen es schon, meine Damen und Herren: Er wird bald im Froschhimmel sein. Keine Angst, liebe Tierfreunde, er hat ein erfülltes Leben gehabt, in freier Natur, unser Freund Ganshagel hat uns den glücklichsten Frosch der Gegend ausgesucht, und ich werde ihn gleich sachgerecht und schmerzlos töten. Doch zuvor muss er uns noch einen letzten Dienst erweisen. Ich bitte einen Freiwilligen, nach vorne zu kommen. Er soll das Letzte sein, was der Frosch in seinem Leben sieht.«
    Wassili Wassiljewitsch, der Russe, sprang lachend auf, kniete sich vor das Marmeladenglas nieder und grinste hinein. Dann ging alles ganz schnell. Der schmächtige Wissenschaftler packte den Frosch mit einer Hand, setzte ihm mit der anderen eine Spritze. Das Tier erschlaffte sofort. Mit flinken Fingern sezierte er das Tier, präparierte die Augen heraus und legte sie unter eine kompliziert aussehende Maschine.
    »Ein Laser-Elektronenmikroskop. Ich werde das optographische Bild nun auf die Leinwand projizieren.«
    Und dann gab es ein Ah! und Oh! im Publikum, denn das grinsende Gesicht des Russen erschien auf dem Wandschirm, sehr unscharf, sehr verzerrt – aber zweifellos Wassili Wassiljewitschs Gesicht. Der Schmächtige wiederholte nun das Experiment, diesmal mit einer Ratte, er ließ dieselben Sprüche vom Stapel:
    »Eine kleine Ratte, biologisch etwas höher stehend als ein Frosch, und – Sie ahnen es schon – sie wird bald im Rattenhimmel sein. Keine Angst, liebe Tierfreunde, sie hat ein erfülltes Leben gehabt, in freier Natur –«
    Diesmal stellte sich die Frau mit der Meckifrisur zu Verfügung, und kurz darauf sah man eindeutig und unverwechselbar ihre stacheligen Borsten auf der Leinwand. Die Teilnehmer waren beeindruckt.
    »Herr Ganshagel! Herr Ganshagel! Kommen Sie mal raus aus Ihrem Glaskämmerchen!«, hatte der Wissenschaftler zum Schluss gerufen. »Herr Ganshagel, schön, dass Sie sich zur Verfügung stellen. Sie ahnen es schon, meine Damen und Herren, unser Herr Ganshagel wird bald im Hüttenwirtehimmel sein. Keine Angst, liebe Freunde, er hat ein glückliches Leben gehabt, in freier Natur –«

    Es war natürlich ein Spaß gewesen, aber Ganshagel war furchtbar erschrocken. Wenn er geahnt hätte, wie schnell alles bitterer Ernst wurde! Jetzt, keine vierundzwanzig Stunden später, saßen dieser Kommissar Jennerwein und sein Hilfssheriff Ostler vor ihm, aber er konnte sich einigermaßen sicher fühlen. Oder doch nicht?
    »Wann sind Sie zu Bett gegangen, Herr Ganshagel?«
    »Na, so gegen zehn oder elf Uhr.«
    »Und die Leiche haben Sie um halb sechs morgens entdeckt?«
    »So ist es.«
    »Sind Sie Frühaufsteher?«
    »Ja, auf der Alm bleibt einem gar nichts anderes übrig. Um diese Zeit drehe ich immer meine Runden, jeden Tag, wissen Sie. Und da habe ich die Frau gefunden. Und ich habe Sie sofort angerufen.«
    Außer

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