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Unterholz: Alpenkrimi (German Edition)

Unterholz: Alpenkrimi (German Edition)

Titel: Unterholz: Alpenkrimi (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Maurer
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verlassen, sie hatten ihn noch nie enttäuscht. Jennerwein beugte sich wieder über den Torso. Der Kopf war mit einem sauberen Schnitt vom Rumpf getrennt worden. Auf die Schnittstelle war eine durchsichtige Plastikfolie gespannt worden, wie man sie auch über eine angeschnittene Sülze zieht. Die Halsschlagadern waren mit kleinen farbigen Krokodilklemmchen abgebunden worden. Die beiden anderen Spurensucher, ein kleines, spilleriges Männchen und eine stämmige Frau mit dicker Brille, wandten sich wieder ihrer Arbeit zu, draußen vor dem Zelt, im strömenden Regen. Sie krochen durch das patschnasse Gras, schnitten, rupften und fingerten, steckten ab und zu etwas in ihre durchsichtigen Beweissicherungsbeutel.
    »Wir haben ein paar der kleinen Käfer und Larven abgesondert«, sagte Becker und hielt eine Petrischale hoch. »Es ist eine spezielle Art der Rothalsigen Silphe. Sehen Sie sich die kleinen Fresser ruhig genauer an, Chef.«
    Jennerwein nahm das Glas hoch. Alles war besser, als diese Frau ohne Kopf anzusehen. Es waren plumpe, hässliche Käfer mit einem gedrungenen, gerippten Panzer. Sie hatten die Größe eines Daumennagels, ihre Fresswerkzeuge waren mit bloßem Auge gut zu erkennen. Die Tiere schienen sich einen purpurroten Mantelkragen umgelegt zu haben, wie es Könige tun. Oder Rumpelstilzchen. Das Königliche der Erscheinung wurde durch die feinen, golden glänzenden Haare verstärkt, die den roten Halsschild bedeckten. Durchaus eindrucksvoll, dachte Hubertus Jennerwein. Nur gut, dass ich mich nicht vor Insekten fürchte.
    »Sonst noch irgendwelche Besonderheiten?«, fragte er.
    »Der Fundort ist wahrscheinlich identisch mit dem Tatort«, sagte Becker. »Die Todesursache konnte ich noch nicht eruieren, das soll die Pathologin machen. Auffällig ist aber, dass sich die Käfer lediglich im Bereich des Gesichts – ja, wie sagt man? – an die Arbeit gemacht haben, sonst nirgends. Meine Vermutung: Das Gesicht der Frau muss erhebliche Verletzungen aufweisen. Sonst hätten sich die Silphen nicht festgefressen. Sie sind scharf auf nekrotisches Gewebe, der Geruch von Fleisch, das nicht mehr arbeitet, lockt sie an.«
    »Todeszeit?«
    »Vor vierzehn bis fünfzehn Stunden. In dieser kurzen Zeit haben sie schon ganze Arbeit geleistet. Von der obersten Hautschicht, dem Zahnfleisch, den Augäpfeln ist schon fast nichts mehr da. Das war mit ein Grund, den Kopf abzutrennen, auf 2 Grad Celsius zu kühlen und wegzuschicken. Das Besondere bei diesen Silphen ist übrigens –«

    »– dass die Larven und die ausgewachsenen Käfer zusammen auf Beutezug gehen«, sagte Ignaz Grasegger zu Ursel. Er blätterte in einem dicken Wälzer, dem Kleinen Handbuch für Bestatter, schlug das Kapitel Biologie der Verwesung auf und las daraus vor. »Larven und Käfer haben die gleiche Lebensweise und die gleichen Ernährungsgewohnheiten, allerdings ein unterschiedliches Fresstempo. Das ist für die Bestimmung des Todeszeitpunkts wichtig.«
    Ursel und Ignaz Grasegger hatten das ausgedehnte Frühstück noch immer nicht beendet. Ursel biss gerade in ein würziges Landbrot mit selbstgemachter Erdbeer-Mango-Marmelade.
    »Dann ist das also so eine Art Familienbetrieb bei den Knöcherlputzern«, sagte Ursel.
    »Genau«, erwiderte Ignaz. »Und sie erledigen ihre Arbeit rasend schnell. Auf YouTube gibt es ein interessantes Video dazu.«
    »Danke, mir genügen deine Experimente mit den schönen und sündhaft teuren Wachteln.«
    »Hier steht weiter, dass diese Aaskäfer in der hinduistischen Religion verehrt werden. Bei einem speziellen Bestattungsritus im gebirgigen Nordindien sind die Käfer eine zwingend vorgeschriebene Grabbeigabe.«
    »Also keine Brotzeit für die Verstorbenen wie bei den alten Ägyptern, sondern der Verstorbene ist die Brotzeit.«
    »Aber sag einmal, Ursel: Hast du diese Silphen schon mal bei uns im Alpenraum gesehen?«
    »Nein. Soviel ich weiß, mögen sie es eigentlich kälter. Aber droben auf der Alm ist es auch rauer, da kann es schon sein, dass sie sich da ihren Lebensraum erobert haben.«
    Ignaz sah sich die Tiere durch eine Lupe an.
    »Was hast du vor?«, fragte Ursel misstrauisch. »Ich sehe doch, dass du was im Schilde führst.«
    »Zu züchten wären die ganz leicht.«
    »Warum willst du die denn züchten?«
    »Innerhalb von wenigen Tagen ist nichts mehr von einer Leiche da. Hast du das Brustbein von der Wachtel gesehen? Die haben sogar die Knochenaußenschicht angeknabbert.«
    »Apropos Wachtel: Du gehst jetzt dann

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