Unterholz: Alpenkrimi (German Edition)
was hätte das für einen Sinn?«
Hansjochen Becker, der Spurensicherer, hatte bisher geschwiegen. Aus spekulativen Diskussionen hielt er sich meist heraus.
»Ich weiß nicht so recht, aber vielleicht kann ich dazu ein kleines Puzzlesteinchen beitragen. Ich meine: zu dieser Killerthese. Sie erinnern sich doch an meinen Fund im Wald: zwei Augen, nämlich ein Frosch- und ein Rattenauge.«
»Igitt«, stöhnte Maria. »Geht das schon wieder los!«
»Die Gerichtsmedizinerin hat die Augen noch mal genauer untersucht. Bei beiden Präparaten ist die Fovea centralis beschädigt worden, das ist ein Teil der Sehhirnrinde, also sozusagen der Bildschirm, auf dem die optischen Informationen im Auge landen und von da aus weiterverarbeitet werden. An beiden Augen sind Untersuchungen durchgeführt worden, die auf Optographie hindeuten.«
»Optographie?«, fuhr Stengele dazwischen. »Ist das nicht der Hokuspokus mit den letzten Bildern, die ein Mensch in seinem Leben sieht? Und die man dann sichtbar machen kann? Ist da vielleicht doch was dran?«
»Neueste Forschungsergebnisse gehen in diese Richtung«, fuhr Becker fort. »Wie auch immer: Wenn es wirklich funktioniert, dann wäre das eine Katastrophe für alle Mörder.«
»Vor allem für Auftragsmörder.«
»Jemand könnte also darüber ein Referat gehalten haben?«, fragte Nicole.
»Es ist eine Spekulation, aber es würde in das Szenario passen. Natürlich sind die Herrschaften es gewohnt, nie etwas Schriftliches zu hinterlassen –«, sagte Becker. »Und jetzt kommt noch ein Puzzlesteinchen.«
Er hob eine weitere Tüte hoch, in der lediglich ein winziges Fuzzelchen Papier steckte. Mit viel Mühe konnte man ein paar französische Wörter erkennen. Beckers Gesichtsausdruck zeigte, dass er sehr stolz war.
»Das habe ich unter der Lärche mit den schönen großen Wurzeln gefunden.«
»Ein Zeitungsausriss?«, fragte Stengele spöttisch. »Und vielleicht irgendwo noch eine dazu passende Zeitung, mit einem doppelt umkringelten Artikel, der uns direkt zu unseren Tätern führt?«
Becker lachte auf.
»Nein, es ist kein Zeitungspapier, dazu ist es zu dick. Die kleine abgerissene Ecke ist aus einem Buch. Einem französischen Buch. Meine kriminaltechnische Assistentin hat einen halben Tag recherchiert: Es heißt Perdu dans le sous-bois , also Verloren im Unterholz , ein französisches Sachbuch über Gedächtnistraining. Vielleicht hat es nichts zu bedeuten, aber es würde unsere Killerseminarthese stützen.«
»Warum das denn?«, fragte Nicole.
»Na ja, wenn die sich alles merken müssen, dann brauchen sie ein Buch über Gedächtnistraining.«
Jennerwein schüttelte besorgt den Kopf.
»Wenn das wirklich so ist, dann können wir den Fall vermutlich bald zu den Akten legen. Die Seminarteilnehmer sind mit großer Sicherheit schon im Ausland, und wenn nicht, dann sind sie so perfekt abgetaucht, dass wir sie mit unseren rechtstaatlich-polizeilichen Möglichkeiten kaum fassen werden. Und dann erst der Tunesier! Wir haben es mit einem Mörder zu tun, der imstande war, einen Superprofi auszuschalten.«
»Wie sieht es mit einem Hilferuf ans BKA aus?«, fragte Nicole.
»Ist schon abgelehnt. Die wollen sich nicht blamieren.« Jennerwein entkam eines kleines, bitteres Lächeln. »Dafür haben sie ja uns, die Kriminalpolizei. Ich habe noch einen einzigen Joker.«
»Ganshagel.«
»Ja. Er hat mit der Sache nichts zu tun, da bin ich sicher. Aber unsere letzte Chance ist, dass er etwas weiß, ohne dass er weiß, dass es wichtig ist.«
»Ja, dann werde ich am besten gleich mal –«, begann Ostler.
»Nein«, unterbrach Jennerwein und erhob sich. »Ich will ihn selbst zur Befragung abholen. Ich werde ihn auf dem Weg hierher auf die Dringlichkeit und Brisanz der Sache hinweisen. Machen Sie inzwischen eine Rauchpause. Ich bin gleich wieder da.«
Die Truppe verteilte sich auf der sonnenbeschienenen Terrasse, um die berühmte rauchlose Rauchpause abzuhalten. Niemand griff zu einer Zigarette.
»Sei dir selbst Droge genug!«, zitierte Hölleisen einen Slogan der Abteilung Suchtprävention. Alle vertraten sich die Beine und machten Freiübungen. Stengele machte drei einarmige Liegestütze. Dann gab auch er auf. Der gestrige Tag und die darauffolgende Nacht hatten ihre Spuren hinterlassen.
»Wie sollen wir am besten vorgehen?«, fragte Maria. »Am besten ist es, wir gehen nicht alle zusammen auf ihn los, sondern wir befragen ihn einzeln.«
»Das ist gut«, sagte Ostler. »Alpler sind
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