Unterland
und boten uns im Tausch für Gemüse ein paar Stücke Ofenholz oder trockene Äste an, die sie ohne Erlaubnis gesammelt haben mussten, denn selbst der Straßenrand, auf dem sich ein Baum oder Gebüsch befand, wurde inzwischen verpachtet. Es fiel Ooti schwer, die Leute weiterzuschicken, zumal wir die Äste gern genommen hätten. Noch war es warm, aber in spätestens sechs Wochen würde der Herbst seine Finger nach uns ausstrecken. Niemand dachte gerne daran, jeder redete lieber schnell von der Kartoffelernte, wenn die Rede auf den Herbst kam.
Bei Larsens wuchsen die Tabakpflanzen. Sie lieferten sie ab und erhielten Rauchtabak dafür, den zu verkaufen streng verboten war, aber natürlich taten viele es trotzdem. Larsens brachten Stunden damit zu, ihren Tabak in dünnes Papier zu rollen, das sie aus großen Bögen zurechtschnitten. Ihre vollkommen symmetrisch gerollten Zigaretten boten si e – wo sons t – auf dem Schwarzmarkt feil.
Mit ernsten Gesichtern hatten sich die drei, bevor ich mich zum ersten Mal mit ihnen auf den Weg gemacht hatte, mein Geständnis angehört.
»Ich verstehe nicht, warum du es Wim nicht gleich gesagt hast«, meinte Sigrid. »Was ist denn dabei?«
»Ich hatte Angst, dass er mich nicht mitnimmt, wenn er davon erfährt. Natürlich sage ich es ihm noch«, beteuerte ich, »aber der richtige Zeitpunkt hat sich bisher einfach nicht ergeben.«
»Also, von mir muss er nichts erfahren«, meinte Sigrid großzügig und die anderen nickten. Ich war so erleichtert, dass ich ihnen fast die Hand gegeben hätte. »Es sei denn, ich verplappere mich«, ergänzte Sigrid. »Darauf gebe ich keine Garantie.«
Es blieben unruhige Momente für mich, wenn Wim den Larsens begegnete.
»Kommst du?«, fragte Sigrid gegen halb dre i – die Zeit, um die wir nachmittags üblicherweise aufbrachen. Diesmal jedoch antwortete ich: »Nein, heute nicht, ich will auf Henry warten.«
»Was ist denn heute so spannend an Henry?«, zog Sigrid mich auf.
»Wenn wir Pech haben, kommt er mit einem Mordauftrag zurück«, erwiderte ich. Mein Bruder und ich hatten ausgemacht, dass Henry vom Bahnhof aus im Garten vorbeikam, der ohnehin auf dem Weg nach Hause lag.
»Na dann guten Schuss«, meinte Sigrid ohne Überraschung; sie hielt uns Helgoländer mittlerweile zwar nicht mehr für eingebildet, aber immer noch für etwas wunderlich.
Leni hatte ich ganz vergessen. Leni redete, nachdem Larsens aufgebrochen waren, zum ersten Mal seit Wochen wieder mit mir. Sie fragte, ohne vom Beet aufzusehen: »Stimmt das? Ihr habt ihn?«
»Nur ein paar Informationen«, sagte ich gedämpft. »Henry ist dabei, ihn einzukreisen.«
»Und dann?«
Ich antwortete nicht.
»Henry spinnt. Wenn er ihn wirklich hat, musst du’s deiner Mem sagen.«
»Noch hat er ihn ja nicht«, redete ich mich heraus.
Doch Henry kam an diesem Tag nicht im Garten vorbei, wie wir verabredet hatten. Als Ooti und ich abends nach Hause kamen, war er bereits dort, aber ich konnte ihn mit Blicken anbohren, so lange ich wollte, er ließ nichts heraus. Nur an der Art, wie er schwieg, erkannte ich, dass es gefährlich wurde und dass er mich nicht mehr dabeihaben wollte.
Wenn doch Foor hier wäre!
Der Gedanke verblüffte mic h – allzu lange hatte es nichts mehr gegeben, wozu wir meinen Vater gebraucht hätten. Wenn von Foor die Rede war, ging es meist um Kleidung, Schuhe oder Decken, denn Mem hielt die Augen offen, falls die Tommys etwas aussortierten. Mein Vater war zu jemandem geworden, der Hilfe brauchte; ich wusste selbst nicht, wieso ich mir plötzlich einbildete, Foor hätte Henry von seinem Plan abhalten können.
Ich wusste nicht einmal, wie Henrys Plan überhaupt aussah! In den ersten Tagen nach seinem Besuch in Itzehoe wagte ich kaum, meinen Bruder aus den Augen zu lassen, und wenn doch, dann nur um den Preis größter Unruhe, bis ich ihn Stunden später wiedersah. Immer wieder stellte ich ihm dieselbe Frage: »Henry, du weißt doch was! Hast du seine Adresse?«
»Es ist besser, wenn du nicht fragst«, antwortete er so unbewegt, dass ich ihn am liebsten geschüttelt hätte.
»Wenn man einander etwas versprich t …«
Ich saß mit Ooti und Mem am Tisch und pulte Erbsen. »Muss man es dann unbedingt halten?«, fragte ich kleinlaut und an niemand Bestimmtes gerichtet, obwohl ich ganz selbstverständlich erwartete, dass Mem antwortete, unsere Spezialistin für harmonisches Zusammenleben.
Stattdessen warf Ooti meiner Mutter einen Blick zu und sagte mit Nachdruck: »Was
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