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Unterland

Unterland

Titel: Unterland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne C. Voorhoeve
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lebensgefährlicher Ort voller Blindgänger und in den Stollen versteckter Munition der Nazis. Nicht zuletzt der Fischer wegen, die allen Verboten zum Trotz im Hafen anlegten, sei die Besatzungsmacht verpflichtet zu handeln.
    Die meisten Helgoländer, die Henry in diesen Wochen besuchte, glaubten allerdings etwas anderes. Die meisten glaubten, für die Briten sei der Krieg noch lange nicht zu Ende und sie wollten der Insel, die bis vor sechzig Jahren zu ihnen gehört hatte, einen Denkzettel verpassen, weil sie sich seitdem zwei Mal in kriegerischer Absicht gegen ihr ehemaliges Mutterland gewandt hatte.
    Als ob eine kleine, wehrlose Insel etwas dafürkonnte, was Menschen anrichteten! Mit Ausnahme von Captain Sullavan hatte ich nicht die allerhöchste Meinung von den Tommys, aber für so blöd hielt ich sie denn doch nicht.
    Während ich Unkraut zupfte, musste ich an das Geräusch herabstürzender Felsbrocken denken, das wir während des Bombenangriffs gehört hatten, und ich bezweifelte, dass unser Buntsandstein so unzerstörbar war, wie mein Bruder behauptete. Den Amerikanern war es gelungen, mit je einer Bombe zwei komplette japanische Großstädte vom Erdboden zu fege n – sollten die Alliierten Helgoland wirklich sprengen wollten, müsste es schon an ein Wunder grenzen, wenn es ihnen misslang.
    Henry war an diesem Vormittag nach Itzehoe gefahren, um weitere ehemalige Nachbarn zu besuchen, und Mem, die anfangs so stolz auf seine Aufgabe gewesen war, hatte ihn zum ersten Mal gefragt, ob das nicht vergebliche Mühe sei. Zahlreiche Zeitungen hatten von den Alliierten inzwischen eine Lizenz erhalten, aber das Mitteilungsblatt für die Helgoländer war nicht darunter. Wozu brauchten die Helgoländer ihre eigene Zeitung, bekam James zu hören, sie sollten sich endlich damit abfinden, dass ihr Zuhause jetzt auf dem Festland lag.
    Mein Bruder schrieb für eine Zeitung, die es vielleicht nie geben würde! Solange er im Großraum Hamburg blieb, sei das völlig in Ordnung, fand Mem, aber für das Fahrgeld nach Itzehoe hätten wir bessere Verwendung.
    Mem konnte nicht wissen, dass Henry der Familie, die er heute besuchte, selbst ins Ruhrgebiet gefolgt wäre. Wenn ich daran dachte, verspürte ich ein leichtes Flattern in der Magengegend. Der älteste Sohn war Übungsleiter im Turnverein gewesen, er musste jeden kennen, der dort trainiert hatte. Was, wenn Henry wirklich etwas herausbekam?
    »Eine Pistole«, hatte Henry nur gesagt, »besorgt uns mit Sicherheit Wim.«
    Eine Pistole. Uns. Behutsam zupfte ich ein paar Gräser rings um ein Salatpflänzchen aus und versuchte an etwas anderes zu denken. Frau Larsens Bruder zum Beispiel: ein wahrer Tausendsassa! Ski gelaufen war er auch.
    Es war, wie so oft nach einem harten Winter, ein wunderschöner Sommer geworden und selbst in unserem schattigen Garten spross das Gemüse. Jetzt, im August, konnten wir Erbsen, Bohnen und Kohl ernten, es gab Kopfsalat, Möhren, Gurken und die unverwüstlichen Steckrüben.
    Zu Hause ging die Arbeit weiter mit Pulen, Trocknen und Einkochen für den kommenden Winter. Die Gurkengläser, die Wim beim Hamstern hatte tauschen wollen, behielten wir nun lieber selbst, zumal Wim gar nicht mehr zum Hamstern gekommen war bei all den Gelegenheiten , die er hier auf keinen Fall verpassen durfte. Neuerdings raunte der arme Leo auffallend oft mit ihm; wir vermuteten, dass er mit Wims Hilfe unter der Hand Bier absetzte.
    Wie lange unsere Vorräte wohl reichen würden? Frau Broders hatte nicht Unrecht gehabt mit ihrem Einwand, der Garten werfe für drei Familien nicht genug ab, zudem wir nun auch noch die beiden Männer entlohnen mussten, die die Grundstücke bewachten. Mehrmals waren Beete über Nacht verwüstet worde n – von Unbekannten , hieß es, aber wir hatten eine gewisse Vermutung, wo die Unbekannten zu suchen gewesen wären, wenn die Polizei sich ernsthaft dafür interessiert hätte.
    Den Pächtern blieb nichts anderes übrig, als sich selbst zu helfen. Unsere Nachtwächter, zwei Seeleute im Ruhestand mit eintätowierten Ankern, Nixen und Meeresungetümen, erhielten ein Viertel dessen, was wir ernteten; mit Handwagen und kleinen Eimern zogen sie am späten Nachmittag über die Parzellen, um ihren Lohn einzutreiben. Es war ein einträgliches Geschäft für sie, doch so ungern wir einen Gutteil unserer Ernte in ihren Eimern verschwinden sahen: Ohne die Nachtwächter wäre die Plackerei im Garten womöglich vergebens gewesen.
    Manchmal kamen jetzt auch Fremde

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