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Unterland

Unterland

Titel: Unterland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne C. Voorhoeve
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vorbereiten, indem man die Augen offen hält. Jeder noch so kleine Zweig, Tannenzapfen oder Papierschnipsel wurde vom Boden aufgehoben für den Betrieb von Wims Brennhexe, die wir mitbenutzen durften. Woraus ich schloss, dass man gegen Hunger auch Vorbereitungen treffen kann, indem man teilt, solange es einem gut geht: Wir hatten Wollanks geholfen, nun ließen sie uns nicht im Stich.
    »Hör mal«, sagte Wim zu mir, »es ist schwer, den Überblick zu behalten über deinen und meinen Anteil. Ich würde vorschlagen, du behältst ab jetzt alles für dich, was der Mehl- und Zuckerverkauf einbringt.«
    Nach kurzem Zögern willigte ich ein. Ich hatte keine Ahnung, wie oft sich Wims Vermögen inzwischen multipliziert hatte, aber dass er die kleinen Einnahmen aus den Zuckertütchen nicht mehr nötig hatte, war mir längst klar. Auf Ootis Vorschlag hin funktionierte ich eine Pappschachtel zur Spardose um, in deren Innenseite ich Abend für Abend meine Einnahmen und Ausgaben festhielt, um zu überschlagen, wie viel ich am nächsten Tag für uns selbst verbrauchen durfte. Fast immer gelang es mir, Brot oder Kartoffeln einzukaufen und den Tag dennoch mit einem kleinen Gewinn abzuschließen.
    Auf Winter, Hunger und Kälte kann man sich vorbereiten, indem man sich zusammentut. Im vergangenen Jahr hatte jede Familie für sich allein gefroren, diesmal, so wurde beschlossen, würden wir mit unserem gemeinsamen Kohlevorrat nur die Küche heizen, in der wir uns tagsüber aufhalten konnten. Frau Kindler war einverstanden, denn ihr ging es ja wie uns: Nur einhundert Kilo wurden jedem Haushalt für den gesamten Winter zugestanden und die Dringlichkeit, mit der um zusätzliche Arbeiter für die Bergwerke im Ruhrgebiet geworben wurde, ließ keinen anderen Schluss zu, als dass der nächste Engpass bereits unmittelbar bevorstand.
    »Warum soll ich im Bergwerk arbeiten?«, fragte Herr Helmand so empört, als sei er persönlich dazu gedrängt worden. »Damit noch mehr Kohlezüge nach England fahren? Von all der geförderten Kohle ist nur der geringste Teil für unseren Eigenbedarf bestimmt.«
    »Die Kohle geht nach Griechenland und Italien, nicht England«, versetzte Mem sofort. »Und warum dies, Herr Helmand? Weil wir ganz Europa zerstört haben. Alles, was wir hier erleben, hat nur eine einzige Ursache, und das ist der von uns Deutschen angezettelte Krieg!«
    »Ich widerspreche Ihnen ungern«, erwiderte Herr Helmand mit strengem Lächeln. »Aber Polen hat lange vor uns mobilgemacht, wir haben nur zurückgeschossen!«
    »Das glauben Sie doch wohl nicht immer noch?«, fragte Mem kühl.
    »Ihr Lieben!«, ermahnte Nora. »Die Küche ist zu klein, um darin zu streiten!«, und Herr Helmand war sofort wie ausgewechselt und erwiderte: »Du hast Recht, mein Her z – und wir haben weiß Gott andere Probleme.«
    Auf den Winter kann man sich vorbereiten, indem man Freude sammelt.
    »Er hat Nora mein Herz genannt, habt ihr gehört?«, wiederholte ich hingerissen, als wir wieder in unserem Zimmer waren.
    »Es geht voran«, bestätigte Ooti und wir lächelten uns wissend und erwartungsvoll an, obwohl Mem durch nichts von der Vorhersage abzubringen war, die temperamentvolle Nora und dieser staubige kleine Bürokrat passten nicht zusammen und das Ganze könne gar nicht anders als in Tränen und Vorwürfen enden.
    Auf den Winter kann man sich vorbereiten, indem man nichts aufschiebt, was man noch erleben möchte. An einem Sonntag fuhren wir nach Blankenese an den Strand und blickten den Schiffen nach, unter denen sogar unser lieber alter Seebäderdampfer Kehrwieder war, der anstelle Helgolands nun Sylt und Norderney ansteuerte.
    »Es wird darüber geredet, eine Helgoländer Kolonie auf Sylt zu gründen«, sagte Mem leise. »Dann wären wir wenigstens zusammen und könnten unsere Lebensart erhalten. Vielleicht ist es gar keine schlechte Idee.«
    »Wer redet darüber?«, fragte ich entrüstet.
    »Helgoländer«, sagte Henry. »Ich hab’s auch schon gehört.«
    »Aber das wäre doch niemals dasselbe!«, protestierte ich.
    Auf der Elbe zogen die Schiffe vorüber, die Sonne schien, aber der Sand unter meinen Händen war schon klumpig und feucht. »Es sieht nicht so aus, als könnten wir dasselbe noch erwarten, Alice«, sagte Mem nach einer langen Pause.
    Sylt, dachte ich und versuchte es mir vorzustellen. Nur wenige Seemeilen entfernt von Helgoland. Der gleiche Wind, die gleichen Welle n … aber umsonst, es gelang mir nicht, mich dorthin zu versetzen.
    »Was

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