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Unterland

Unterland

Titel: Unterland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne C. Voorhoeve
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– der, in dem Mem mich unter Androhung von Strafen dazu brachte, schließlich doch mitzuessen.
    »Wenn du wenigstens die Ingeborg geheiratet hättes t …!«, schrie Frau Kindler. »Dann wären wir jetzt Opfer des Faschismus! «
    »Dann wäre die Brauerei weg, und das schon seit einundvierzig!«
    »Die Brauerei ist so oder so weg und die Ingeborg hat jetzt die Rente!«
    Wenn sie bei der Ingeborg angelangt waren, musste es kurz vor halb sieben sein. Ich sah Mem müde auf unser aller Armbanduhr schauen und sich vergewissern, ob es schon Zeit war, die Küche zu übernehmen.
    In diesem Augenblick gingen alle Lichter an.
    Aus naheliegenden Gründen bin ich kein Freund der Fliegerei, aber damals stellte ich mir manchmal vor, wie es sein musste, uns nach Anbruch der Dunkelheit aus der Luft zu beobachten. Es würde wenig zu erkennen sein. Menschenleere Straßen, an deren Rand sich die Zacken dunkler Häuserruinen abzeichneten. Vereinzelte Lichtkegel: Autoscheinwerfer, die suchend über den Boden huschten. Vielleicht ein Krankenhaus, eine Fabrik, ein Kraftwerk, und natürlich die Tommy-Viertel, die Strom aus eigenen Aggregaten bezogen. Sie mussten aussehen wie kleine Dörfer, umgeben vom Nichts.
    Bis auf einma l – peng ! – jedes einzelne Fenster gleichzeitig aufleuchtete. Mauern bekamen helle Flecken, Schatten tanzten an den Wänden, ganz Hamburg sprang auf die Beine, wenn der Strom kam. Töpfe wurden hervorgeholt und Waschzuber, Radios und Grammofone spielte n – selbst wenn der Strom morgens um vier kam und man so müde war, dass man nicht aufhören konnte zu frieren.
    In Frau Kindlers Küche stand ein wuchtiges Gerät, das wir respektvoll den Küppersbusch nannten. Der Küppersbusch nahm eine ganze Wand ein, er hatte vier Kochplatten, einen Backofen und zwei geräumige Schubladen für Küchengerät, und der Küppersbusch blieb meistens kalt. In wohlhabenden Häusern war der Elektroherd vor dem Krieg der letzte Schrei gewesen, heute schätzte sich glücklich, wer einen Gasherd besaß. Zwar war auch Gas rationiert und man musste vor dem Kochen eine Münze in den Zähler werfen, aber allen, die einen Elektroherd angeschafft hatten, kam es vor, als wären Gassperren viel, viel seltener als Stromsperren, und überhaupt waren richtig glücklich nur diejenigen, die sowohl einen Gasherd als auch eine elektrische Kochplatte als auch einen Kachelofen besaßen, der zum Kochen taugte.
    Bei uns stand neben dem Kohleofen, in dessen Feuer man, sofern man welche hatte, allenfalls ein paar Kartoffeln rösten konnte, nur der Küppersbusch, und da er meistens kalt blieb, stand er hauptsächlich als ein trauriger Beweis dessen herum, was aus dem Fortschritt geworden war. Außer wenn der Strom kam. Dann schlug seine große Stunde! Vier Haushalte hatte er gleichzeitig zu versorgen, was er zuverlässig und ohne Aufhebens erledigte. Die Stromuhr schnurrte nur so und einer von uns musste den Zähler immer genau im Auge behalten, damit wir unser Kontingent nicht überschritten. Wenn trotz noch vorhandenen Stroms nach nur einer halben Stunde Schluss war, lag es jedenfalls nicht am Küppersbusch.
    Unser Stundenplan geriet mit sofortiger Wirkung außer Kraft, wenn der Strom kam. Wer zuerst an der Spüle stand, füllte seinen Topf; die Herdplatten benutzten wir in der Reihenfolge unseres Eintreffens in der Küche. Gab es jemals Streit? Ich kann mich nicht erinnern. Ein Dutzend Augenpaare, selbst die der kleinen Wranitzkys, verfolgten automatisch und korrekt, wer wann an die Reihe zu kommen hatte. Auch die beiden Töpfe von Frau Kindler brachten die Ordnung nicht durcheinander. Frau Kindlers Töpfe wurden zwischen unsere geschoben und als erste bedient, aber wenn wir abends Strom hatten, der arme Leo also diese Aufgabe übernahm, war nie mehr als eine Platte von Frau Kindlers Töpfen besetzt.
    Während der arme Leo in unserer Mitte stand und darauf wartete, dass das Wasser heiß wurde, drängte es ihn, etwas zu sagen: »So viel e … damit hat doch keiner gerechne t … es wächst ihr über den Kop f …«
    »Wir verstehen Ihre Mutter«, murmelte Mem. »Auch wir würden doch ger n … eines Tage s … vielleicht schon bal d …«
    Ooti, Henry, ich, die drei Bolles nickten stumm, sogar die Wranitzky wackelte zustimmend mit dem Kopf. »Nicht wahr, es war einmal anders?«, drängte er. »Sie hat euch selbst eingeladen, das wisst ihr doch noch?«
    »Natürlich wissen wir das noch!«
    »Sie wollte sogar eine zweite Helgoländer Familie

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