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Unterland

Unterland

Titel: Unterland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne C. Voorhoeve
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nahm. »Und ich dachte schon, mit dir sei nicht viel anzufange n …!«, scherzte er.
    »Ich weiß überhaupt nicht, wovon du redest«, gab ich zurück, denn natürlich hatte ich nicht die Absicht, ihm auf die Nase zu binden, dass ich mich ohne Henry, Mem oder Ooti noch nie in die Stadt getraut, sondern allein immer nur am Gartentor gestanden und zugesehen hatte, wohin andere gingen. Auch an diesem Tag war ich eigentlich auf dem Weg nach Hause gewesen, weil mir etwas anderes gar nicht in den Sinn gekommen wäre. Nur um einen großen Bogen um die Nissenhütten zu schlagen, wo Lenis Mutter mich hätte sehen können, war ich in der Bahnhofstraße gelandet.
    Die Bahnhofstraße war die wiederhergestellte Flanier- und Einkaufsmeile unseres Stadtteils. Viel gab es dort noch nicht zu sehen. Die meisten Läden waren in Kellerwohnungen oder bestanden aus mobilen Verkaufsständen, die mit wenigen Handgriffen auf- und abgebaut wurden, sobald die Ware ausverkauft war. Ein paar bunte Plakate an einer Hauswand wiesen auf ein Kino im Hinterhof hin, und auch die ersten Restaurants waren mithilfe von abgeklopften Trümmersteinen entweder schon ausgebessert oder neu hochgezogen worden. Um diese Tageszeit allerdings hatten sie noch geschlossen, nur vor Bäcker und Fleischer zogen sich lange Warteschlangen den Bürgersteig entlang und ich hielt die Augen offen, um nicht etwa Ooti zu begegnen.
    »Kleine, hältst du mir den Platz frei?«, rief eine ältere Frau mir zu, aber ich schüttelte den Kopf und ging rasch weiter, gab vor, keine Zeit zu haben. Über kurz oder lang würde Ooti mit Sicherheit hier auftauchen und ich hatte keine Lust auf Fragen, obwohl ich mir durch das Platzhalten etwas zu essen hätte verdienen können. Auch andere Kinder standen für Fremde in der Schlange, die ihr Glück zeitgleich vor mehreren Läden versuchten, um am Ende des Tages wenigstens etwas ergattert zu haben. In letzter Zeit musste fast die Hälfte der Wartenden ohne Brot wieder abziehen, weil die Lieferung nicht für alle reichte. Je weiter hinten in der Schlange die Leute standen, desto müder und hoffnungsloser blickten sie drein.
    Abgesehen von wenigen Kindern sah man fast nur alte Leute und Frauen. Mehrere hatten sich Stühle mitgebracht, manche hatten Strick- oder Nähzeug dabei, kein einziger jüngerer Mann war auf der Straße, dem man im Vorbeigehen einen Blick hätte zuwerfen müssen, um zu überprüfen, ob er etwa leicht oberhalb der Augenbrauen zuckte. Nur Herr Schmitz vom Café Perle war zu sehen, den ich vom Krüppelturnen kannte.
    »Hallo, Alice Sievers, nicht in der Schule?« Hinter der niedrigen Mauer, die sein »Gartenlokal « – drei Tische mit einem Sammelsurium von Sitzgelegenheite n – vom Rest der Straße trennte, entging ihm nichts. Beim Steineklopfen für seine private Baustelle hatten Henry und ich uns im vorigen Sommer ein paar Groschen verdient. Ich winkte und krückte rasch vorbei, ohne zu antworten. »Bis Mittwoch!«, rief er mir nach und fuhr gut gelaunt fort, mit seinem einen Arm Stühle hinauszustellen.
    Im vorigen Sommer. Erst jetzt merkte ich, dass die Erinnerung daran gar nicht so übel war. Die Freude über das Ende der Bombenangriffe war noch frisch gewesen, die Hoffnung auf unsere Rückkehr nach Hause auch, und jeden Tag rechneten wir damit, dass Foor plötzlich in der Tür stand. Mit meinem Bein, erst im Frühjahr rundum erneuert, hatte ich ohne Krücken laufen könne n – und keinen Augenblick daran gedacht, dass dies je wieder anders werden könnte. Auch vom Frieren wussten wir noch nichts. Selbst Frau Kindler war bester Laune gewesen und hatte Henry und mich aufgefordert, ihren Keller nach Dingen zu durchforsten, die wir gebrauchen konnten. Auf diese Weise kamen wir an unsere Tassen und das eine oder andere Kleidungsstück, auch an eine Schere zum Haareschneiden.
    Vorbei. Der kommende Sommer, sosehr ich mich in den letzten Tagen darauf zu freuen begonnen hatte, konnte gar nicht mehr schön werden, denn nun wussten wir ja Bescheid.
    Beim nächsten Mal sind wir vorbereite t … Mems Worte standen plötzlich noch bedrohlicher vor mir als tags zuvor. Wenn wir Pech hatten, würden Jahre vergehen, bis Foor nach Hause kam, um uns zu helfen. Wie lange konnte es dauern, in Belgien aufzuräumen? Ließen sie ihn anschließend gleich woanders weitermachen?
    Und eintausend Kalorien. Wo würden wir sparen? Nur zwei statt drei Schnitten Brot pro Tag? Die Scheibe Käse nur noch sonntags und einmal im Monat Wurst? Mem würde

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