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Unterland

Unterland

Titel: Unterland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne C. Voorhoeve
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aus der Haut fahren, wenn sie erfuhr, dass ich die Schulspeisung vermasselt hatte.
    Wem machst du eigentlich etwas vor? Dein Bein wächst nicht wieder nach, kapier das endlich!
    Es machte nicht gerade bessere Laune, an Mem zu denken. Ob Henry dichthiel t …? Wenn ich jeden Morgen ein Essgeschirr mit zur Schule nahm, musste sie nie erfahren, dass ich an der Speisung gar nicht teilnahm. Verpetzte Henry mich nicht, konnte ich einfach so tun als ob!
    Daran hatte ich gedacht, direkt bevor ich Wim traf.
    »Ich bin auf der Jagd nach einem Kochtopf«, kam er sofort zur Sache, als wir einander plötzlich entdeckte n – er ohne jegliche Anzeichen von Überraschung, mich zu sehen. Er stand in einem Hauseingang und beobachtete einige Frauen, die vor einem Hydranten am Straßenrand um Wasser anstanden; die Fraue n – das war nicht zu übersehe n – behielten ihn ebenfalls im Auge. Ich konnte mir vorstellen, warum, und Wim auch. Verächtlich spuckte er ein Stück Holz aus, an dem er gekaut hatte, und sagte: »Lass uns verschwinden. Die blöden Weiber denken, wir klauen.«
    »Genau das hätte ich auch gedacht, wenn du so vor unserem Haus gestanden hättest«, bemerkte ich, während wir uns entfernten.
    Wim grinste. »Wenn die Gelegenheit günstig gewesen wäre, hätten die Weiber jetzt sogar Recht!«
    »Im Ernst?« Zu meiner eigenen Verwunderung war ich keine Spur schockiert. Mit seiner Haartolle und den unruhigen Augen sah Wim nicht aus wie jemand, der sich viel gefallen lie ß – Hunger eingeschlossen. »Würdest du wirklich? Hast du schon ma l …?«
    »Nur von Leuten, die genug haben.« In einem Anflug von Ärger hob Wim die Brauen. »Was dagegen? Lou und ich sind schließlich selbst beklaut worden.«
    »Ist das ein Grund? Dann dürften wir auch!«
    »Beklaut und beschissen. Scheiß-Frieden, findest du etwa nicht? Scheiß-Krieg und Scheiß-Frieden!«
    Ich lachte vor Schreck. Obwohl mir oft genug erklärt worden war, man dürfe jetzt offen reden, lag in meinen Augen immer noch ein gewisser Unterschied zwischen dem, was im Kopf vorging, und dem, was man preisgab. Rasch sah ich mich nach rechts und links um, froh dass uns niemand zuhörte.
    »Scheiß-Krieg und Scheiß-Frieden!«, wiederholte Wim mit Nachdruck, als er mein Unbehagen bemerkte.
    Ich hätte mir keine Sorgen zu machen brauchen: Nachdem wir den Hauseingang mit den misstrauischen Frauen hinter uns gelassen hatten, achtete niemand mehr auf uns. Dass Kinder während der Schulzeit in der Stadt herumstreunten, war ganz normal. Hätte uns jemand angesprochen, hätten wir jederzeit behaupten können, erst nachmittags Unterricht zu haben. Doch natürlich sprach uns niemand an. Viele Familien schickten ihre Kinder überhaupt nicht zur Schule, da sie beim »Organisieren« von Lebensmitteln oder Kohle gebraucht wurden, und keiner störte sich daran oder interessierte sich auch nur dafür.
    Die denken, wir klauen. Wir! Komische Vorstellung, dass man auch mich mit meinen Krücken für ein Kind halten konnte, das auf diese Weise zur Ernährung seiner Familie beitrug. Nicht dass ich eine Karriere als Gesetzesbrecherin im Sinn hatte, aber allein der Gedanke bewirkte, dass mein Bein sofort weniger wehtat.
    »Woher kriegen wir denn jetzt den Topf?«, wollte ich wissen.
    »Ich nehme an, buddeln hat keinen Zweck«, erwiderte Wim und es war keine Frage. Was man in ausgebombten Häusern und verschütteten Kellern im letzten Sommer noch hatte finden können, stand längst in den Behausungen anderer. »Die Wehrmachtsdepots sind mit Sicherheit auch schon alle geknackt. Habt ihr hier irgendwo einen Tauschladen?«
    »Klar, aber hast du auch was zum Tauschen?«
    »Falsche Frage, Alice. Im Tauschladen kommt es nicht darauf an, was du hast, sondern was du brauchst, ob es angeboten wird und was man dafür beschaffen muss.«
    Im Vorübergehen hob Wim den Deckel von einer Mülltonne und spähte kurz hinein, erkannte aber auf den ersten Blick, dass es nichts mitzunehmen gab. Der Knopf auf dem Mülltonnendeckel war schon ganz blank und abgewetzt, weil so viele Leute jeden Tag danach griffen.
    »Ich weiß Bescheid über Tauschläden«, erwiderte ich leicht beleidigt. »Aber mit irgendetwas musst du schließlich anfangen.«
    »Das wäre der nächste Schritt. Lass uns erst einmal sehen, was angeboten wird, und dan n …«
    »Dann?«
    »Bestimmte Dinge«, sagte Wim gedehnt, »kann man leicht organisieren.«
    Organisieren. Da hatten wir es wieder. Organisieren hieß nichts anderes als klauen, und für

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