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Unterland

Unterland

Titel: Unterland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne C. Voorhoeve
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zu haben, dass da tatsächlich ein Bein fehlt«, fuhr meine Mutter fort, worauf der Arzt bemerkte: »Es fehlt ja auch nur ein halbes Bein!«
    Er zwinkerte mir zu. Das nächste Mal nehme ich Ooti mit!, dachte ich erschüttert.
    Ich hielt es instinktiv für ein schlechtes Zeichen, dass der Arzt aufhörte zu grinsen, sobald er sich meinem Bein zuwandte. Ängstlich lag ich auf der Untersuchungsliege und studierte sein hageres Gesicht, das, wie ich zu erkennen glaubte, immer bedenklicher wurde, je länger er auf Stumpf und Knie herumtastete und drückte, in die Haut kniff und seine Finger so tief in die Muskulatur bohrte, dass mir Tränen in die Augen schossen.
    Auch Mem war ganz blass geworden. Sie stand neben der Liege und umklammerte den dünnen Hefter mit meiner Krankengeschichte, den wir zu jeder Untersuchung mitzubringen hatten. Eine helle Lampe leuchtete über mir und ich hoffte, dass das Flimmern vor meinen Augen nur von der Beleuchtung stammte und mir vor Angst und Schmerz nicht so etwas Peinliches wie eine Ohnmacht bevorstand.
    Nach einer kleinen Ewigkeit bat mich der Arzt, mich langsam aufzusetzen und die Beine über den Rand der Liege baumeln zu lassen. Erleichtert spürte ich, wie das Flirren in meinem Kopf nachließ, nur im Magen blieb das Grummeln einer Vorahnung zurück.
    Als der Arzt endlich zu reden begann, war ich im tiefsten Inneren bereits auf alles gefasst, aber das heißt natürlich nicht, dass man nicht trotzdem hofft.
    »Es gibt in Bezug auf die Handhabbarkeit von Prothesen verschiedene Theorien über kurze und lange Stümpfe«, sagte der Arzt bedächtig. »Ich kann mir denken, warum der Kollege sich für einen kurzen Unterschenkelstumpf entschieden hat. Er wollte das Kniegelenk erhalte n …«
    » … wofür wir außerordentlich dankbar sind!«, entfuhr es meiner entsetzten Mutter, und ich dachte nur: Halt den Mund, Mem!
    »Der Nachteil kurzer Stümpfe ist«, fuhr der Arzt an mich gewandt fort, »dass die Prothese schlechter sitzt, dass sie leichter verrutscht, drückt oder scheuert. Deshalb seid ihr hier, ich weiß. Nun gibt es aber noch ein zusätzliches Problem.«
    Er nahm mein Bein wieder auf. »Durch die Abmagerung des Stumpfs kommt es zu Hautfalten und schlaffen Weichteillappen. Beim Anlegen der Prothese neigen sie zur Schoppung und Faltung, und wenn du dich bewegst, wird der Stumpf geklemmt und schmerzt.«
    »Genau«, bekräftigte ich.
    Er lächelte mich an. »Die Entstehung von Weichteillappen kannst du mit Muskulaturübungen allein nicht verhindern. Wir können sie entweder verkleinern, sodass sie dich weniger stören, oder als Hüllgewebe für ein Knochentransplantat benutzen, um den Stumpf zu verlängern. Ein längerer Stumpf würde den Sitz deiner Prothese ganz erheblich verbessern. Aber ich möchte dir noch etwas anderes zeigen.«
    Meine Mutter setzte sich wortlos auf den Stuhl neben der Tür. Der Arzt ging zum Schreibtisch und kam mit einigen Bildern zurück.
    »Die Prothesentechnik hat sich in den letzten Jahren stark weiterentwickelt. Hier siehst du, was nach dem jetzigen Stand schon möglich ist. Dies ist eine Leichtmetallprothese mit Kniegelenk, mit der die Probanden sich sogar im Laufschritt bewegen können. Sie fällt kaum auf, du könntest sogar einen Rock tragen, ohne dass jemand dein Kunstbein bemerkt. Und das hier«, er legte ein anderes Bild zuoberst, »ist eine weitere aufregende Erfindung: eine Säulenprothese, bei der eine Stahlsäule in den Knochen eingepflanzt und das Kunstbein danach einfach aufgesetzt wird. Durchblutungsstörungen und Wundscheuern kommen dadurch praktisch nicht mehr vor.«
    Der Arzt machte ein so begeistertes Gesicht, als wollte er mir zu verstehen geben, so etwas wie eine Säulenprothese trüge er selbst am liebsten auch.
    »Sie müssen mich also nachoperieren?«, fragte ich mit so fester Stimme wie möglich.
    »Sobald du nicht mehr wächst«, antwortete er feierlich, »können wir dir das Leben durch eine wunderbare neue Prothese erleichtern, die dich fast gar nicht mehr beeinträchtigt.«
    Ich horchte seinen Worten nach. Sobald du nicht mehr wächs t … das hieß, dass ich nicht sofort operiert werden musste und vor Erleichterung wäre mir fast von Neuem schwindlig geworden. Sobald du nicht mehr wächst, hieß aber auch, dass ich eine dieser »wunderbaren neuen Prothesen« erst in etlichen Jahren bekommen würde.
    »Und bis dahi n …?«, fragte ich erschrocken.
    »Zeigt dir Schwester Annegret, wie du deinen Stumpf wickeln kannst, ohne dass es

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